Denise Blazek wurde nach ihrem dualen Bachelorstudium von der Hamburger Hochbahn als Referentin übernommen. Trotzdem hält die Berufseinsteigerin immer die Augen und Ohren nach interessanten Arbeitgebern offen: „Meine Stelle ist auf ein Jahr befristet“, erzählt sie. „Im aktuellen Job habe ich viel mit anderen Mobilitätsanbietern zu tun und versuche immer gleich, mich mit den Leuten zu vernetzen.“ Daher pflegt sie ihre Bewerberprofile bei Xing, LinkedIn, StepStone und Indeed. Viele Studierende und Hochschulabsolventen gehen bei der Jobsuche ähnlich vor wie Denise und registrieren sich bei diversen Jobportalen, um möglichst gut auffindbar zu sein. Ihre Bewerberdaten sind für diese Unternehmen bares Geld wert.
Denise Blazek, Referentin Hochbahn
- Wer passt wohin?
Immer mehr Human Resources-Startups drängen auf den Markt und sammeln Daten von Jobsuchenden, die sie dann potentiellen Arbeitgebern anbieten. Diese zahlen in der Regel eine Provision für die Ansprache und erfolgreiche Vermittlung von Bewerbern. „Unternehmen wie Trendence, ein Berliner Marktforschungsunternehmen für Employer Branding, haben jetzt schon wahnsinnig viele Marktdaten“, sagt der Hamburger Florian Dyballa, Mitgründer der Berufsberatungs-App Aivy. Aber auch die App truffls, eine Art Tinder für Jobs, hat sich auf Big Data spezialisiert. Chatbot-Anbieter generieren über Vorschläge von Berufen Daten von den Nutzern. Auch Startups wie Moberries oder Instaffo, die Jobsuchende an potentielle Arbeitgeber vermitteln, versuchen, Lebenslaufdaten zu monetarisieren.
Boas Bamberger, David Biller, Arbnor Raci und Florian Dyballa (v.l.n.r.) von Aivy machen professionelle Berufsberatung digital.
Florian Dyballa ist einer derjenigen, die die Jobsuche mit digitalen Mitteln revolutionieren möchten. Gemeinsam mit drei Mitstreitern hat er das Startup Aivy und die gleichnamige App ins Leben gerufen, die jungen Menschen helfen soll, mithilfe von künstlicher Intelligenz ihre Stärken und Potentiale zu erkennen. Bisher werden Big Data und Algorithmen seiner Einschätzung nach bei der Jobsuche zu wenig eingesetzt: „Die Arbeitsagentur zum Beispiel nutzt die ihr vorliegenden Informationen bei der Jobermittlung wenig. Ihr liegen zwar zahlreiche Daten vor, aber sie kann kaum sinnvolle Schlüsse ziehen, weil Erfolgsdaten nicht systematisch miterhoben werden.“ Die von Florian und seinen Mitstreitern entwickelte Aivy-App basiert auf psychologischen Eignungstests. Die Nutzer merken davon aber wenig. Stattdessen klicken sie sich durch kurze spaßige Challenges und erhalten dann Vorschläge, wohin ihre berufliche Reise gehen könnte. So bekommen sie zum Beispiel Bilder von Tätigkeiten angezeigt, bei denen sie angeben können, ob sie ihnen gefallen oder nicht. Oder sie müssen anhand von Gesichtsausdrücken in Sekundenschnelle die passende Emotion bestimmen.
„Hinter den Vorschlägen steckt das gleiche Prinzip wie bei der Auswahl von Filmvorschlägen bei Netflix“, erklärt Florian. „Nehmen wir an, Person A und B haben bei Netflix die gleichen fünf Filme gesehen. Dann würde Netflix in der Annahme, dass die beiden ähnliche Interessen teilen, Person A auch die anderen Filme vorschlagen, die Person B angesehen hat. Also bekommen Nutzer, die in unseren Minispielen ähnlich abschneiden, ähnliche Berufsvorschläge angezeigt.“ Die Aivy-App speichert aber auch Informationen dazu ab, ob Kandidaten mit Berufsvorschlägen zufrieden sind, ob sie sich in der jeweiligen Branche auch wirklich bewerben und ob sie dort eine Stelle bekommen. Aufgrund solcher Erfolgskennzahlen verbessert sich das Matching laut Florian also nach und nach selbst. Die App kam 2019 auf den Markt, seitdem haben sich laut Aivy über 3.500 Nutzer registriert.
- Die menschliche Intelligenz entscheidet final
Der Einsatz von Big Data wird die Art und Weise, wie wir Jobs suchen und finden, in den nächsten Jahren drastisch verändern. Davon ist jedenfalls der Personalberater Ralf Roth aus München überzeugt. Er zieht einen Vergleich zu anderen Einsatzbereichen wie dem Direktmarketing: „Hier ist es bereits üblich, Informationen aus verschiedenen Datenquellen miteinander zu verknüpfen. Aus einer Quelle werden dann etwa Informationen wie Name oder Wohnort eines Ansprechpartners verwendet, aus einer anderen Quelle Informationen dazu, ob es sich hierbei um ein gehobenes Wohnviertel handelt und ob die Einwohner dieser Gegend eher wohlhabend sind.“ Unternehmen im Personalbereich werden zukünftig wohl auch mit Social Media Plattformen kooperieren, um zusätzliche Informationen zu gewinnen. Ralf Roth hat konkrete Vorstellungen davon, wie das funktionieren könnte: „Wenn wir dann etwa einen Kandidaten für eine Modefirma suchen, können wir auch Bewerber ansprechen, die zwar noch nie im Textilbereich gearbeitet haben, aber offenbar eine hohe Affinität zu dem Thema mitbringen.“
Ralf Roth, Personalberater aus München
Profitieren würden davon nicht zuletzt die Recruiting-Abteilungen, die mit vorsortierten Bewerbern und Empfehlungen arbeiten könnten. Doch auch für uns Bewerber ist es natürlich bequem, wenn uns bestimmte Entscheidungen durch Algorithmen abgenommen werden. Allerdings sollten wir im Kopf behalten, dass die Unternehmen mit unseren Daten auch Geld verdienen möchten. So gibt es zum Beispiel Agenturen, die Jobs posten, um damit Lebensläufe abzugreifen, die sie dann verkaufen. Selbst bei der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit soll es solche Fälle gegeben haben.
Ein weiterer Nachteil der maschinengesteuerten Jobsuche ist, dass Computerprogramme nicht immer die besten Entscheidungen fällen. Algorithmen wählen auf der Basis von Daten aus, welcher Bewerber welches Jobangebot zugespielt bekommt. Das kann dazu führen, dass bestimmte Angebote von vornherein aussortiert werden, obwohl sie für den oder die einzelne vielleicht doch interessant gewesen wären. Ein Extrembeispiel: 2018 sorgte Amazon für Schlagzeilen, als das Unternehmen mit durch künstlicher Intelligenz gestütztem Recruiting unbeabsichtigt Frauen benachteiligte. Zuvor waren vor allem Männer eingestellt worden. Das System lernte aus diesen historischen Entscheidungen und wiederholte so die Diskriminierung bei Personalentscheidungen aus der Vergangenheit.
Wenn es darum geht, solchen Gefahren entgegenzusteuern, sind die Unternehmen gefragt, die mit künstlicher Intelligenz und Big Data arbeiten. „Die Entscheidung – sowohl für einen Job als auch für einen Bewerber – wird letztendlich nie vollständig von Big Data getroffen werden“, meint André Schaefer, Kommunikationsmanager bei StepStone. „Wir glauben, dass die beste Entscheidung für einen Job oder einen neuen Mitarbeiter immer die subjektiv richtige Entscheidung ist. Denn die menschliche Intelligenz – das, was wir oft auch Bauchgefühl nennen – macht bessere Vorhersagen darüber, ob Menschen wirklich zusammenpassen.“
André Schaefer, Kommunikationsmanager bei Stepston
Aber auch wir als Bewerber sollten uns natürlich gut überlegen, nach welchen Kriterien wir unseren Arbeitgeber auswählen und wem wir welche Daten anvertrauen wollen. Denise Blazek ist sich dessen bewusst. Sie gehört zu denjenigen, die sich die Datenschutzbestimmungen tatsächlich durchlesen, bevor sie ihr Häkchen setzen. „Meine Telefonnummer oder meine E-Mail-Adresse würde ich nicht öffentlich zugänglich machen. Aber dass ich meinen Lebenslauf online hinterlege, ist natürlich schon vorteilhaft für den Recruitingprozess“, sagt die Berufseinsteigerin. Manchmal sei sie sich aber unsicher, welche Informationen sie noch preisgeben sollte und welche nicht. „Einerseits möchte ich so wenig Daten wie möglich von mir zur Verfügung stellen. Andererseits sollen meine Profile aber auch aussagekräftig genug sein.“
Text: Janna Degener-Storr, Sarah Kröger
Fotos: privat (1), Aivy (1), Ralf Roth, SKILLs HR Experts GmbH (1), Stepstone (1)
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