Jeden Tag Corner von früh bis späti/Häng am Späti, häng am Späti“ – rappt der Berliner MC Fitti 2013 in seinem Video zu „Späti“. Dabei tanzt er mit Konfetti durch einen Kiosk und gönnt sich Bier und Chipsletten. Ist ja alles da – beste Partyversorgung. „Sortiment ist top, Auswahl ist krank/Jedes Bier der Welt im 10-Meter- Kühlschrank.“
Das ist nicht erst seit 2013 so, aber irgendwie stehen Kioske als Barersatz seitdem wieder Hoch im Kurs. Vor allem im Sommer. Man trifft sich beim Kiosk 2000 am Alma-Wartenberg-Platz in Ottensen, dem Pauli Point, beiden Kiosken auf dem Schulterblatt oder der Tabak Börse am prominenten Dreieck zwischen Wohlwillstraße, Neuer Pferdemarkt und Beim Grünen Jäger.
Von Donnerstag bis Sonntag gleichen manche Ecken einem Straßenfest. An Spitzenabenden versammeln sich bis zu 300 Leute vor den Kiosken, es wird geschnackt, gelacht, ab und zu geht leider eine Flasche zu Bruch – wie das halt so ist an einem feucht-fröhlichen Abend.
Die Corner-Vorteile liegen wohl klar auf der Hand: Wir brauchen auf dem Schulterblatt nicht ewig von Bar zu Bar tingeln, um irgendwo ein freies Plätzchen zu finden, denn einen Kiosk finden wir an jeder Ecke. Das Bier kostet nur die Hälfte und dass es dafür nur einen Stehplatz gibt, nehmen wir locker in Kauf. Dafür können wir noch alle unsere Freunde hierhin lotsen, der Bürgersteig ist groß genug. Außerdem gibt es viel zu gucken, denn nirgends kann man so herrlich Leute beobachten wie beim Cornern, wo sich überdurchschnittlich hippe Leute tummeln.
Nicht ganz so viele Vorteile sehen allerdings Antje und Dieter Kröger-Voss aus Ottensen im Cornern. Denn die allabendliche Menschenmenge vorm Kiosk 2000 macht doch ordentlich Lärm und der dringt von der Straße bis hoch in ihre Wohnung. Manchmal sind sie schon runter gegangen und haben die Leute direkt angesprochen. Die meisten haben dann Verständnis für die Anwohner und ziehen sich zurück, aber am nächsten Abend ist eine neue Crowd am Start und das Spiel geht von vorne los. Deswegen haben sich Antje und Dieter eine neue Methode ausgedacht: „Wenn die Ansprachen nicht helfen, können wir die Szene von unserem Balkon mit einem sehr starken Taschenlampenkegel „wegleuchten“ – ohne Schimpfen – einfach nur Leuchten.
Das halten wir für einen fairen Kampf: Heimleuchten gegen Heimbelärmung.“ Wir können das spießig oder spielverderberisch finden, aber bei der Vorstellung, den Trubel jeden Abend vor der eigenen Haustür zu haben, bekommt man doch sehr schnell Verständnis für diese durchaus kreative Protest-Methode. Auch Joe aus der Wohlwillstraße hört die Cornerhorde nahezu jeden Tag.
Meistens geht er dann einfach runter und gesellt sich dazu, aber: „An manchen Tagen nervt es schon“, sagt auch er. „Nämlich dann, wenn erst Anfang der Woche ist und auf der Straße das Partyleben tobt, aber man selber morgens früh raus muss“, erzählt der 29-jährige Sozialarbeiter und Musiker. Beschweren würde er sich deswegen aber nicht. „Die meisten sind hier tolerant“, erzählt Inan. Er betreibt den Kiosk Pauli Point in der Wohlwillstraße.
„Wir sind seit 20 Jahren hier, genau wie einige der Bars. Wer hier hinzieht, muss doch mit nächtlichem Trubel rechnen und den gab es immer schon.“
Auch wenn er zugeben muss, das die Cornercrowd schon ganz schön groß geworden ist.
Von manchen Bars aus der Schanze soll es schon Hilferufe nach einem Cornerverbot gegeben haben, sie sind sauer, dass die Leute jetzt lieber vor, statt in ihrem Laden abhängen und nur noch zum Pinkelnreinkommen. „Kann ich nicht bestätigen“, sagt Inan, „wir sind hier mit den Bars solidarisch undunterstützen uns gegenseitig.“ Das bestätigt auch Matze Knoop, Betreiber des Grünen Jäger. Sein Club befindet sich in dem kleinen Backsteinhäuschen direkt gegenüber dem Corner-Hot-Spot Tabak Börse. „Im Winter treffen sich die Leute halt zu Hause zum Vortrinken, im Sommer vorm Kiosk.
Wenn sie dann tanzen gehen wollen, kommen sie ja trotzdem zu uns.“ Über Umsatzeinbußen kann er sich nicht beschweren und dass im Sommer auch mal weniger Leute in den Club gehen, sei normal. Matze sieht eher ein ganz anderes Problem:
„Ich glaube, die Kritik liegt nahe, dass es zu wenig unkommerziellen öffentlichen Raum gibt, wo sich Leute begegnen können.“
Wenn wir am Corner abhängen, kritisieren wir das vielleicht nicht bewusst, aber tatsächlich suchen wir doch genau das!
In den durchgestylten Amüsiermeilen, wie dem Kiez oder der Schanze, gibt es zwar alle drei Meter eine szenige Bar oder ein lauschiges Café, aber uns fehlt ein gemütlicher freier Platz zum ungestörten Abhängen. Vielleicht lieben wir deshalb das Cornern so sehr. Die Straße ist für alle da und die Kioske sind unser guter Nachbar, bei dem stets die Tür offen steht, der im Notfall noch eine Milch oder ein Brötchen für uns hat – oder eben das wohlverdiente Feierabendbier für schmale 1,20 Euro.
Damit wir in unserer Lieblingshood auch weiterhin so lässig abhängen können, sollten wir einfach ein gutes Verhältnis zu allen Nachbarn wahren und es so halten wie mit dem Vorglühen zu Hause: Wenn wir von den ersten Drinks angefeuert sind, einfach weiterziehen. In eine nice Bar oder zum Tanzen in den Club. Damit geht es doch am Ende allen am Besten.
Text: Lisa Matthiesen
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