Während wir essen, schauen wir meist die neuste Folge unserer Lieblingsserie, natürlich auf Englisch – Unterhaltung und Bildung in einem sozusagen. Einfach mal nur die Pasta auf dem Teller genießen und die Gedanken kreisen lassen – undenkbar, vergeudete Zeit und fürchterlich langweilig. Beim Duschen hören wir die neusten Tracks auf Spotify und während wir durch die Schanze laufen, beantworten wir WhatsApp-Nachrichten oder checken die neusten News. Und damit sind wir nicht allein.
Schaut man sich in der Bahn oder im Bus um, sieht man überall gesenkte Köpfe. Denn mindestens neun von zehn Leuten sind selbst mit ihrem Smartphone beschäftigt. Ein „gelangweilter“ Blick aus dem Fenster ist eine Seltenheit. Sogar die paar Minuten vor dem Einschlafen widmen wir nicht dem schnöden Nichtstun, sondern Instagram oder Facebook.
Keine Zeit zum Nichtstun
Der Zustand des „Bloß-Nicht-Langweilen-Wollens“, der sich gefühlt erst über die letzten paar Jahre gefestigt hat, ist neben Floskeln über uns wie „Die Generation des Ewigen Praktikanten“ oder der „Generation Beziehungsunfähig“ ein Merkmal, dass uns tatsächlich auszumachen scheint. Denn während die Generationen vor uns zwangläufig auch mal tagelang nicht erreichbar waren, fühlt es sich heute schon nach einem großen Abenteuer an, wenn wir mit 10 Prozent Akku das Haus verlassen, um uns auf einen Kaffee zu treffen.
Und während unsere Großeltern und auch Eltern noch stundenlang die Satellitenschüssel drehen mussten, bis endlich ein klares Bild auf dem Fernseher erkennbar war, bekommen wir schon Aggressionen, wenn Netflix ein paar Sekunden zum Buffern braucht. Zeit zum „Chillen“ hätten wir aber doch eigentlich genug oder nicht? Die Semesterferien sind schließlich lang und wenn wir mal ganz ehrlich sind, sitzen wir auch nicht permanent am Schreibtisch und arbeiten an der aktuellen Hausarbeit oder dem nächsten Vortrag.
Das Problem ist, selbst wenn wir uns selber Langeweile vortäuschen, erlauben wir sie nicht wirklich. Schließlich fühlen wir uns doch alle permanent gestresst, unter Druck gesetzt und bereits in den Anfängen unserer 20er an manchen Tagen nahe dem Burnout. Und auch wenn wir von außen betrachtet mal „nichts tun“, ist unser Gehirn trotzdem ständig aktiv und halbherzig mit Dingen beschäftigt. Und das am Montag vorgenommene „Am kommenden Wochenende mache ich mal nichts“ artet sowieso jedes Mal in drei gehetzte Kaffee- und zwei Shoppingdates aus. Und den neuen Spielberg-Film müssen wirnatürlich auch noch sehen. Und zum Sport. Und einkaufen. Und saubermachen.
Langeweile schafft Platz im Kopf
Wir alle haben heute mehr Möglichkeiten denn je, haben mehr Pläne und längere To-do-Listen. An sich eine gute Sache. Aber brauchen wir in jeder Sekunde unseres Lebens etwas zu tun oder sollten wir uns nicht ab und zu erlauben, uns mal wieder zu langweilen? So wie früher – beim Warten auf den Bus oder an einem verregneten Sonntag.
Während unser Gehirn alles Mögliche versucht, das Gefühl der Leere zu vermeiden, sollten wir vielleicht gerade das mal wieder bewusst zulassen. Denn wer sich langweilt, so haben einige Studien bewiesen, schafft Platz im Kopf. Platz für neue Ideen und für neue Kreativität. Gönnen wir unserem Gehirn eine Pause! Denn dann liefert uns die gefürchtete Langeweile vielleicht den Kompass zu mehr Klarheit. Machen wir etwas, was uns nicht erfüllt, signalisiert uns unser Gehirn Langeweile. Gerade in der heutigen Zeit mit all den Möglichkeiten vielleicht wichtiger denn je.
Also an alle Workaholics, Dauergestresste und Smartphone-Addicts: Ihr habt hiermit unsere offizielle Erlaubnis... Bitte langweilt euch mal wieder so richtig!
Text: Laura Bähr
Foto: privat
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