Durch welche Inspiration bist du zu deinem Stil gekommen?
In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit dem Thema „Lachen. Tot.“ beschäftigt. Dabei bin ich auf den „Día de Muertos", also den mexikanischen Feiertag, bei dem den Verstorbenen gedacht wird, gestoßen. Diese Tradition hat mich nicht mehr losgelassen, weil wir so viel davon lernen können, wie die Mexikaner mit dem Tod umgehen und ihn feiern. Ich war daraufhin sogar mit einer Freundin zum Tag der Toten in Mexiko. Und das war ein krasses Erlebnis: Die Atmosphäre ist unbeschreiblich, alle Gräber sind festlich geschmückt, alles ist super kitschig und mit vielen Mustern dekoriert. Und natürlich sieht man überall die traditionellen, bunten Totenköpfe. Das war meine Inspiration.
Wie ging es dann weiter? Du hast ja nicht direkt mit dem Tätowieren angefangen.
Nach meiner Diplomarbeit arbeitete ich in verschiedenen Agenturen, aber habe schon immer sehr viel gezeichnet. Auf Flohmärkten fand ich immer schönes Porzellan, das ich irgendwann als Leinwand für meine mexikanisch inspirierten Kreationen verwendet habe. Ich fand das eine tolle Verbindung zum „Día de Muertos", weil an dem Tag in Mexiko sehr viel gekocht und gemeinsam gegessen wird. Außerdem hat mir der Kontrast aus den spießigen Tellern und den makaberen Designs gefallen.
Die Teller findet Frau Ines auf Flohmärkten und bedruckt diese mit ihren eigenen Zeichnungen.
Und wo hast du deine Kreationen dann verkauft?
Zuerst verschenkte ich das Porzellan, auf das ich die Motive Zuhause gebrannt habe, nur an Freunde. Als ich aber gemerkt habe, wie gut die Kreationen ankommen, bin ich damit zu Design-Märkten gefahren und habe die Teller auch bei DaWanda sowie Etsy zum Verkauf angeboten. Daraufhin fragten einige Läden bei mir an, ob sie das Porzellan bei sich verkaufen könnten. Es wurde also immer mehr und ich musste die Teller in meiner Freizeit neben meiner Arbeit in einer Agentur machen. 2013 habe ich die Festanstellung dann gekündigt und „nur noch“ vier Tage die Woche als Freelancerin gearbeitet.
Mittlerweile arbeitest du hauptberuflich an deinen eigenen Kreationen und hast sogar ein Atelier auf St. Pauli, oder?
Richtig! Die Mädels von Vergizzmeinnicht, einer Ateliergemeinschaft in der Simon-von-Utrecht-Straße, haben mir einen Platz bei sich angeboten, nachdem wir uns kennengelernt haben. Von da an habe ich nur noch zwei Tage als Freelancerin gearbeitet und mich dem Rest der Zeit den Porzellan-Designs gewidmet. Auf verschiedenen Märkten wurde ich dann immer wieder gefragt, ob ich die Totenkopf-Motive auch als Tattoos stechen würde.
Also ist das Tätowieren eher zu dir gekommen als andersrum?
Genau. Dass die Menschen meine Motive auf ihrer Haut haben wollten, war für mich das schönste Kompliment – und ist es auch bis heute noch! Ich habe mir also eine Maschine gekauft und im Tattoo-Studio einer Freundin zuerst circa einen Monat auf Schweinehaut geübt. Danach dann ein halbes Jahr auf „Freiwilligen“ aus meinem Bekanntenkreis. Das erste richtige Motiv, das ich einer Freundin gestochen habe, war eine Ananas. Der Druck war total groß, aber nachdem ich innerhalb von vier Monaten 50 Tattoos geschafft hatte, bin ich damit an die Öffentlichkeit und habe die ersten Kunden an meinem Atelierplatz tätowiert. Es kamen immer mehr Anfragen, sodass ich dann sogar einen freien Raum bei Vergizzmeinicht zu meinem Studio umgebaut habe und seit 2017 nur noch an meinen eigenen Sachen arbeite.
Kleine Zwischenfrage: Bist du eigentlich gebürtige Hamburgerin?
Ich komme ursprünglich aus Aschaffenburg. Als ich mit 18 Jahren mal in Hamburg war, habe ich mich aber direkt in die Stadt verliebt und gedacht: Hier will ich bleiben! Mittlerweile lebe ich in Eimsbüttel.
Wie würdest du den Stil deiner Motive beschreiben? Und bist du derzeit ausschließlich Tattoo-Artist?
Ich zeichne mit einem unperfekten, fast naiven Strich, der ganz natürlich kommt. Die Motive sind minimalistisch, aber auch verspielt. Insgesamt sehe ich mich als Designerin und Illustratorin – nicht nur als Tattoo-Artist. Auch das Porzellan mache ich bis heute weiter, obwohl die Zahl der Tattoo-Termine immer noch zunimmt.
Ihren Stil nennt Frau Ines minimalistisch und gleichzeitig verspielt mit naiven, unperfektem Strich.
Du hast selber auch Tattoos: Von wem und was lässt du dir noch stechen?
Ich hatte bereits Tattoos, bevor ich selber angefangen habe, welche zu stechen. Am allerliebsten lasse ich mich im Urlaub tätowieren. Aus Kalifornien und Kopenhagen habe ich beispielsweise schon Mitbringsel unter der Haut. Ansonsten lege ich mich da nicht auf einen Stil oder Artist fest, sondern mag es, mir meine eigene Kunstsammlung auf meinem Körper zusammenzustellen. Kleinere Motive habe ich mir selber auf die Hand tätowiert.
Wie hat sich die Tattoo-Szene aus deiner Sicht verändert?
Klassische Studios, die jedes von Kunden mitgebrachte Motiv stechen, haben freien Artists wie mir den Weg geebnet. Die Haut wird immer mehr zur Leinwand und die Stile werden immer spezieller. Es gibt viele tolle Künstler, die tätowieren und Studios gegründet haben.
Wer lässt sich hauptsächlich bei dir tätowieren? Und welche Motive sind der Renner?
Insgesamt ist meine Kundschaft eher weiblich – wobei viele Männer, die ihre Freundin zum Stechen begleiten, dann auch Bock auf meine Motive bekommen. Jüngere Kunden wollen eher kleine, feine Kreationen – ältere auch gerne mal was Größeres, das auffällt. In Kooperation mit dem Shop B-Lage in der Schanze veranstalte ich außerdem „Walk In Days“, bei denen ich neun bis zehn kleine, günstige Wanna-Do-Motive anbiete. Das ist perfekt für Leute, die noch keine Ahnung haben, was genau sie wollen, aber meinen Stil mögen.
Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus? Gibt es Projekte, die gerade in den Startlöchern stehen?
Ich habe alles bisher immer so gemacht, wie es kam, und dabei auf mein Bauchgefühl gehört. Ich vertraue darauf, dass es auch so weitergeht und klappt. Dieses Jahr ist es mein Ziel, in anderen Städten und Studios zu tätowieren. Das Coolste wäre es, mit meiner Tattoo-Maschine auch in andere Länder zu reisen. In Hamburg darf ich dieses Jahr außerdem bei der „Millerntor Gallery“ eine Wand im Stadion gestalten! Da habe ich schon richtig Bock drauf, weil das Format so riesig ist.
Was ist für dich das Schönste an der Selbstständigkeit – und hast du manchmal Angst damit zu scheitern?
Ich habe keine Ahnung, wo es mich noch hinführt, aber ich glaube, es kann nichts wirklich schiefgehen, wenn man das, was man tut, gerne macht. Ich habe alle kreativen Dinge schon immer geliebt und habe auch vieles wie Siebdruck oder Webdesign ausprobiert. Die Illustrationen haben sich dabei als der richtige Ausdrucksweg für mich herauskristallisiert. Am Anfang der Selbstständigkeit musste ich natürlich viel lernen. Ich habe zum Beispiel total vercheckt, mir für die Entwürfe Zeit einzuteilen, habe viele Termine angenommen und musste teilweise die Nächte durchmachen. Auch wenn man krank ist, ist es schwierig, weil es keine Vertretung gibt. Aber dass ich mit meinen Porzellan-Tellern und den Tattoos mittlerweile mein Leben finanzieren kann, Menschen glücklich mache und Spaß bei der Arbeit habe, ist wirklich erfüllend.
Happy place: Frau Ines arbeitet in der Ateliergemeinschaft Vergizzmeinnicht auf St. Pauli
Text: Lesley-Ann Jahn
Fotos: Ellison (3), Cermak (1), Ines Häßler (2)
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