uniscene

News aus Hamburg
KOMMENTAR

Ein Plädoyer für die Einsamkeit

brittani-burns-Yx1Et6YM2_k-unsplash.jpg

Unterwegs sein, neue Bars entdecken oder clubben. All diese Dinge tun wir selten ohne unsere Freunde. Ein großer Fehler, sagt unsere Autorin Natalia Sadovnik. Ein Plädoyer dafür, die Einsamkeit zu genießen – und wo das in Hamburg am allerbesten geht!

Kommst du mit, fragt meine Freundin, als sie nach dem Konzert die U-Bahn ansteuert. Die Band war mittelmäßig, aber der Abend ist warm und der Alkohol wirksam. Ich bin noch nicht fertig mit heute, mal sehen, wohin es mich zieht. Sie schaut skeptisch, sagt Tschüß und ich streune durch die Schanze. Sauge die Sommerluft in mich ein, beobachte die Pärchen, Cliquen und seltene einsame Wölfe. Ich finde es immer wieder bemerkenswert: Alleine reisen gilt inzwischen als emanzipatorischer Initiationsritus, zumal es sich prima auf Instagram vermarkten lässt. Aber sich allein durch die eigene Stadt treiben? Andere Viertel erkunden, ziellos durch unbekannte Straßen wandern und in fremde Fenster spähen. Sich in eine Bar setzen. Menschen gucken. Endlich mal schauen, was die eigene Stadt überhaupt ausmacht. Alles ungewöhnlich, für manche sogar schräg.

Dabei hat allein unterwegs sein eine lange Tradition. Walter Benjamin feierte die Kunst des einsamen Flanierens. Gerade für Kreative aller Art – und ist das nicht irgendwie jeder heutzutage – ist der Alleingang zugleich das beste Futter fürs Gehirn und so etwas wie mentales Yoga. Nabokov, Virginia Woolf, Robert Walser, sie alle spazierten allein, machten Kunst daraus. Doch auch normale Menschen fernab künstlerischer Absichten sollten die bewegte Einsamkeit für sich entdecken. Meist erfüllen wir lediglich unsere Grundbedürfnisse, wenn wir uns allein von A nach B bewegen – wir besorgen essen, gehen zu Vorlesungen oder zum Bafög-Amt. Selten führen wir einfach mal unseren Geist spazieren. Wer allein unterwegs ist, muss sich meist beeilen, ist fremdbestimmt: Von Terminen, Öffnungszeiten, dem Finanzsystem. So gesehen kann das ziellose Flanieren sogar zu einem politischen Akt werden.

  • Wer allein unterwegs ist, wird erwachsen

Auf jeden Fall schult es den Charakter. Wer allein ein Café, einen Club oder eine Bar betritt, zeigt sich mutig, offen, aber auch verletzlich. Benimmt man sich daneben, steht einem niemand zur Seite. Allein sein, wo Menschen normalerweise nicht allein sind, ist demütigend, auf eine Art, die unserem von sozialen Medien, Netflix und Lieferdiensten verweichlichten Geist gut tut. Wer allein unterwegs ist, wird erwachsen. „Aber ist das nicht langweilig?“ wurde ich schon öfter gefragt. Ich denke: Wer sich mit sich selbst langweilt, sollte dringend etwas tun. Ein Buch lesen, mit jemand Klugem sprechen oder sich fragen: Was mache ich eigentlich auf dieser Welt? Und wie geht es erst anderen Menschen, wenn ich mich schon selbst allein nicht ausstehen kann? 

Und sonst: So viel braucht man eigentlich nicht, dort, wo andere Menschen interagieren. Sie zu beobachten ist Unterhaltung genug. Und gerade wer unbegleitet ist, lernt viel schneller neue Menschen kennen. Zum Beispiel am Bartresen. Oder allein auf dem Hamburger Berg. Mit nur ein bisschen Alkohol im Blut – manche können es auch ohne – kann man im Prinzip jeden anquatschen, der halbwegs interessant erscheint und wenn einem langweilig ist, weitergehen. Im Headcrash mit Fremden anstoßen und zu Rage Against The Machine abtanzen. Wie einfach es ist, mit anderen Lebewesen Kontakt zu knüpfen, ohne sich erst durch lästiges „Und was machst du so?“ arbeiten zu müssen? Wie viel schöner, tiefgründiger ist die Frage: Und was machst du hier? Solche Abende sind voller Möglichkeiten.

Vielleicht triffst du die Liebe deines Lebens. Oder zumindest jemanden, der beim nächsten Umzug mithilft. Am eingangs erwähnten Abend bin ich übrigens an einem leeren Bartresen gelandet. Nach dem ersten Negroni sprach mich der Barkeeper an. Später haben wir uns durch drei weitere Bars getrunken, bis ich ihn mit nach Hause genommen habe. Nie habe ich es weniger bereut, allein unterwegs zu sein. Und nein – langweilig war mir definitiv nicht.

Allein Weggehen für Anfänger: Die besten Orte
1. KINO: Wer es langsam angehen möchte, sucht sich einfach einen schönen Film aus dem Bereich guilty pleasure. Wer seinen Freunden nicht den neusten „Fifty Shades of Grey" oder „Avengers" antun will oder mal wieder die heilende Wirkung der Liebesschnulzentränen spüren möchte: Ab ins Abaton oder ins Passage-Kino. In der Dunkelheit allein sein – nirgends kann man sich besser in Melancholie suhlen und mit verlassenen Menschen der ganzen Welt solidarisch fühlen.

2. BAR: Wer gerade keine Ausgeh-begleitung hat, für den ist allein unterwegs sein kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Bevor einem die Decke auf den Kopf fällt – ab in die Ponybar. Als Begleitung ein Buch mitnehmen, das wirkt weniger abschreckend als Handy-Glotzerei. Wenn hinten Konzerte gespielt werden: Jackpot! Nett lächeln, fragen, ob man sich dazusetzen kann, anstoßen und das Spiel kommentieren. Auch im Mandalay oder im Goldfischglas ist man mitten im Leben. Noch besser: Kneipen mit Kickertischen wie das Freundlich+Kompetent oder die Dreizimmerwohnung. Und wer wirklich beim Trinken allein sein will, setzt sich einfach an den Bartresen und denkt an Hemingway.

3. CLUBS: Für Männer womöglich etwas normaler. Als Frau allein in einen Club zu gehen, kann zugegebenermaßen eher unangenehm enden. Auf dem Hamburger Berg ist die Angrabschquote etwas niedriger und man kann meist ohne unangenehmen Beigeschmack mit Fremden feiern. Und für danach gibt es nur ein Wort: Nachtimbiss.

4. ESSEN: Oh, das einsame Dinner. Für manche bemitleidenswert, für andere der Inbegriff der Emanzipation. Alleine essen gehen war seit eh und je das Vorrecht vielbeschäftigter Manager und verschrobener Autoren. Eine schöne Location und ein gutes Essen wirken meditativ – das geht auch tagsüber, wenn zwischen Vorlesung und Nebenjob keine Begleitung verfügbar ist. Beim Essen neue Menschen kennenlernen, geht ebenfalls sehr gut, zum Beispiel über Apps wie Chef.One. Schließlich verbindet nichts so wie eine gemeinsame Mahlzeit.

5. SPA: Wer sich wirklich im Alleinsein üben möchte, schon im Wald spazieren war, fremde Viertel satt hat und eher Flucht vom Alltag sucht, sollte ins Schwimmbad gehen – oder sich gleich eine Tageskarte vom Holthusenbad oder der Bartholomäus-Therme holen. Wer sagt denn, dass Alleinsein nicht auch mit ein bisschen Eigenpflege zusammengeht? Eben.

Foto: Unsplash

Nach
oben
×
×
Bitte richten Sie ihr Tablet im Querformat aus.