Wer an Krebs denkt, denkt an kräftezehrende Chemotherapien, an Haarausfall und an den Tod. So ging es auch Jessica Wagener, als bei ihr Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert wurde. Nachdem die Krankheit überstanden war, hat sie einen Entschluss gefasst: Wenn ich wieder gesund bin, will ich die Welt sehen. Das Ergebnis ist viel mehr als nur ein Reisebericht – es ist eine Aufforderung, hier und jetzt das Leben zu umarmen und in vollen Zügen zu genießen. Denn eines sollte uns immer bewusst sein: Das Leben ist vergänglich und manchmal schneller vorbei als uns lieb ist.
Als Dich die Diagnose Krebs traf, was hast Du da als erstes gedacht? Ganz ehrlich: Ich habe gedacht, ich muss sterben und dass ich gar nicht genug Geld für eine Beerdigung habe. Das war so in den ersten zwei Wochen nach der Diagnose. Danach geht es dann täglich ums Überleben. Erst die Operationen und dann noch Chemotherapie und Bestrahlung.
Und wann kam die Idee der Weltreise auf? Als die Chemo vorbei war, habe ich angefangen, mich mit mir selbst und mit dem ganzen Trauma zu beschäftigen. Also auch mit der Tatsache, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann und was das eigentlich für mein Leben bedeutet. Während dieser Phase ist mir die Idee mit der Reise gekommen. Viele gehen nach der Chemo auf eine Kur, aber das wollte ich nicht – die Kurkliniken erinnern mich zu sehr an Krankenhäuser. Also habe ich mich für eine sechsmonatige Reise entschieden und bin im Oktober 2012 losgeflogen.
Gibt es ein besonderes Highlight Deiner Reise? Ich habe so viele tolle Sachen erlebt! Die Safari in Südafrika war wunderschön, aber auch die Zeit in Rio – ich habe mich in die Stadt verliebt! Vor allem das Stevie Wonder Weihnachtskonzert war ein Highlight: direkt an der Copacabana und mit ungefähr einer Million Menschen, die alle zusammen „Stille Nacht“ in ihren Muttersprachen gesungen haben. Das war so wunderschön, dass ich weinen musste.
Hättest Du diese Reise auch gemacht, wenn Du nicht an Krebs erkrankt wärst? Wahrscheinlich nicht. Ich hätte wohl auch Sachen gesagt wie „Im Moment passt es nicht“, „Zu wenig Geld“ und so weiter. Viele Menschen trauen sich so etwas nicht, weil sie ihre Sicherheit nicht verlieren wollen. Aber es gibt doch überhaupt keine Sicherheit – weder finanziell, noch emotional oder gesundheitlich. Und als ich in dieser Situation war, wo der Tod plötzlich greifbar wurde, hat sich da eine Art Tiefenschärfe entwickelt. Ich habe mich gefragt, worauf ich zurückblicken will, wenn mein Leben endet. Egal ob ich nun mit achtzig, sechzig oder schon mit vierzig sterbe. Was ist das Leben, das ich geführt haben will? Die Krankheit hat mir also dabei geholfen, klar zu sehen was ich will und was ich nicht will. Und die Reise war wohl die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.
War es Dir wichtig, alleine zu reisen? Ja, das war mir total wichtig! Ich wollte mich nicht mit jemand anderem abstimmen müssen, sondern einfach nur mein Ding machen. Wenn man so schlimm krank ist, nimmt man in seinem Umfeld ja automatisch eine Opferrolle ein und es ist ganz schwierig, sich davon wieder zu lösen. Man ist ja auch total abhängig von den Ärzten und verliert das Gefühl, das eigene Leben noch bestimmen zu können. Deswegen war es ganz wichtig, diese Reise einfach nur für mich zu machen. Ich habe dadurch mehr zu mir selbst gefunden und ganz viele tolle Leute kennengelernt, das wäre sonst vielleicht gar nicht passiert.
Werden nach „Narbenherz“ noch weitere Bücher von Dir folgen? Ja, das ist auf jeden Fall so gedacht, aber da gibt’s noch keine ganz konkreten Pläne.
Und wann kommt die nächste Reise? Sobald ich wieder ein bisschen finanzielle Ressourcen habe, will ich auf jeden Fall noch einmal nach Südamerika, vor allem nach Brasilien. Das Land hat mich total fasziniert. Und wenn man einmal anfängt mit dem Reisen, kann man ja auch nicht mehr damit aufhören!
Reisebericht Als die Ärzte bei ihr Krebs diagnostizierten, fiel die Hamburgerin Jessica Wagener in ein tiefes Loch. Doch nach OPs, Chemo und Bestrahlung, fasste sie neuen Mut und reiste um die Welt. In „Narbenherz“ erzählt sie, was sie in New York, Rio und Kapstadt erlebt hat und warum es wichtig ist, Träume nicht auf später zu verschieben. Ein tief berührendes und lebensbejahendes Buch, das einen mal zum Lachen, mal zum Weinen bringt!
Paperback, 256 Seiten, 9,99 €, erscheint bei Rowohlt, W: jessyfromtheblog.wordpress.com
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