Wenn ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umschaue, geht es den meisten Frauen ziemlich gut. Sie arbeiten, stehen auf eigenen Beinen und sind nicht auf Männer angewiesen. Und die Männer finden diesen Zustand völlig normal und würden nie auf die Idee kommen, ihre Freundin als Hausfrau zu sehen. Läuft doch alles, oder? Doch da sind diese vermeintlichen „Kleinigkeiten“, die unglaublich sauer machen. Und die uns immer wieder beweisen, dass es eben doch noch keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gibt.
Beispiel 1: Erster Tag im neuen Job. Als Frau trägt man lieber nicht Rock und zarte Ballerinas, sonst wird man nicht ernst genommen, oder? Beispiel 2: Der Kommentar einer Kollegin: „Ich finde es so gemein, dass Männer im Alter schöner und Frauen einfach nur faltiger werden.“ Beispiel 3: Blick in eine Frauenzeitschrift. Da ist vom „Dellen-Desaster“ einer (schlanken) Prominenten die Rede. Beispiel 4: Alleine an einem Samstagabend über den Kiez laufen. Als Mann: kein Ding. Als Frau: diese ständige Angst vor Grabschern, Kommentaren, im schlimmsten Falle sexueller Gewalt. Lieber nicht hochgucken, den Blick auf den Boden geheftet lassen. Beispiel 5: Auf der Unternehmensfeier. Es soll eine unterhaltsame Showeinlage geben, Budget ist aber keines vorhanden. Idee des Chefs: Da fragen wir doch mal die hübschen Mädels aus dem Social Media Team, da schaut jeder gern hin! Beispiel 6: Verstohlen auf den Gehaltszettel der Kollegen schauen. Irgendwie steht bei den Männern mehr... Und so geht es weiter. Es gibt noch hunderte Beispiele. Rollenklischees, Bodyshaming und Sexismus, immer wieder, überall. In Schule und Uni sind die Mädels noch die Überflieger – im Berufsleben dreht sich dieses Bild ganz schnell. Und dass in den Chefetagen immer noch viel zu wenig Frauen sitzen, ist bekannt. Komisch eigentlich, da doch die Mehrzahl der Abiturienten weiblich ist.
Mehr als ein (Mode-)Trend
Dass in Sachen Gleichberechtigung noch Luft nach oben ist, haben auch andere Frauen bemerkt. Und so wird Feminismus gerade wieder richtig trendy. Der „Mainstream-Feminismus“ hat in der breiten Öffentlichkeit mit Beyoncé begonnen, die 2014 auf den „Video Music Awards“ vor einem riesigen „FEMINIST“-Schriftzug stand. Die Serie „Girls“ von und mit Lena Dunham brachte die Themen Bodyshaming und weibliche Sexualität in die mediale Diskussion. Und auch Emma Watson, Jennifer Lawrence und Taylor Swift positionierten sich in den letzten Jahren als Feministinnen. Der Twitter-Hashtag #Aufschrei sorgte schon Anfang 2013 dafür, dass Sexismus im Alltag endlich großflächig diskutiert wurde. Rainer Brüderle feuerte gleichzeitig die Diskussion weiter an, indem er einer Journalistin sagte, sie könne ein Dirndl ja „ausfüllen“. Und tatsächlich gab es immer noch Stimmen, die behaupten: Wer ein Dirndl trägt, muss solche Sprüche aushalten können. Victim-Blaming nennt man das. Anders gesagt: „Wenn du dich sexy anziehst, musst du dich nicht wundern, vergewaltigt zu werden.“ Was für ein Bullshit. Aber das ist ein anderes Thema.
Zurück zum Mainstream-Trend-Feminismus. Während noch vor ein paar Jahren das Wort „Feministin“ mit unrasierten, lila gekleideten, frustrierten und realitätsfernen Endvierzigern in Verbindung gebracht wurde, sind es nun Popstars und Idole, die sich selbstbewusst als Feministinnen bezeichnen. Und jeder darf mitmachen: Bei H&M sind schon am Eingang „GirlPower“-Shirts zu finden, Dior sorgt mit seinem „We should all be feminists“-Shirt für Aufruhr auf den Laufstegen. Feminismus ist wieder in. Doch ich verstehe auch, dass man diesen Mainstream-Feminismus infrage stellt. Denn Taylor Swift und Beyoncé beispielsweise verkaufen sich in meinen Augen nach wie vor als Sexobjekt und zeigen sich nie ungeschminkt, sondern entsprechend dem medial geprägten Idealbild einer Frau. Selbstbewusst, erfolgreich UND schön sollte sie also sein, die perfekte Feministin? Ob das genau das Signal ist, das wir brauchen, bezweifle ich. Dennoch zeigt es, wie der neue Feminismus tickt: Du darfst auch Beautyprodukte und „GRLPWR"-Mode mögen, wenn du Feministin bist. Und wenn dieser „Mode-Feminismus" ein paar Menschen zum Nachdenken bringt und dafür sorgt, dass sie sich informieren, ist das durchaus ein Erfolg. Die „Massentauglichkeit“ sorgt aber eben auch dafür, dass von dem so wichtigen, kämpferischen Thema leider manchmal nur noch der Trend-Faktor übrig bleibt.
Pink Tax: Frau sein kostet mehr
Wusstet ihr eigentlich, dass Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger verdienen? Trotzdem müssen sie ordentlich blechen. Frau sein kostet. Wenn ich eine Frau bin, kaufe ich den rosa Rasierer. Der hängt eben in der Frauenabteilung, als Frau geht man dort hin. Exakt der gleiche Rasierer in blau aus der Männer-Abteilung ist 33 Prozent günstiger. Bei Einwegrasierern ist das tatsächlich der Fall. Gleiche Marke, gleiches Produkt, andere Farbe. „Da geht es doch um Angebot und Nachfrage“, könnte man sagen. „Da geht es um Fairness“, sage ich. Für mich ist das Diskriminierung. Ich möchte zumindest aufgeklärt werden und die Wahl haben. Momentan wird mir suggeriert, dass es für Frauen eben nur diese Rasierer gibt, da die blauen nicht direkt daneben hängen.
Dass Produkte für Frauen teurer sind, wurde bereits in zahlreichen Studien belegt. „Pink Tax“ wird dieses Phänomen genannt. Es sei schwer zu erklären, so Spiegel Online, „warum ein rosafarbener Fahrradhelm in den USA 27 Dollar, die blaue Version dagegen nur 14 Dollar kosten soll.“ In vielen Ländern gibt es bereits Gesetze, die diese geschlechtsspezifische Preisgestaltung verbieten. In Deutschland nicht. Wir müssen uns weiterhin den Geist mit dem rosa und blauen Konsum-Klebstoff der Werbeindustrie verkleben lassen.
Habt mehr Selbstbewusstsein!
Ich kenne Frauen und Männer, die es eigentlich besser wissen müssten. Die clever sind, die Erfolg haben (wollen), gut ausgebildet sind. Doch manche von ihnen verhalten sich trotzdem genauso, wie es erwartet wird. Einige Freundinnen trauen sich nicht, nach einer Gehaltserhöhung zu fragen und entschuldigen sich tausendmal für einen Fehler, der wahrscheinlich kaum aufgefallen wäre. Männer reißen Macho-Sprüche über die „heiße Praktikantin“ oder die „Milf vom Empfang“. Ah! Nein! Lasst das! An die Männer: Wie wäre es denn, wenn sich eure Freundin / Schwester / Tochter solche Sprüche anhören müsste? Eben. Also denkt kurz drüber nach, ob ein Spruch sein muss. Vielleicht ist die Praktikantin sogar so talentiert, dass man sie lieber fördert, statt sie zu begaffen und zu denunzieren. An die Frauen: Kein/e Vorgesetzte/r wird jemals auf einen Mitarbeiter zugehen und sagen: „Du hast gute Arbeit geleistet – das verdient 5000 Euro mehr im Jahr.“ Man muss den Mund aufmachen und Forderungen stellen, egal ob Mann oder Frau. Niemand führt diese Gespräche gern. Auch Männer nicht. Aber es gehört eben dazu. Wir putzen auch alle unsere Zähne und machen den Abwasch, obwohl es keinen Spaß macht. Man muss kein Macho werden oder aggressiv auftreten. Aber Mädels, ihr könnt was, also zeigt es und fordert ein, was ihr verdient. Lächelnd, weiblich, selbstbewusst. Ja, vieles kann und muss die Politik regeln. Das meiste müssen wir aber selbst tun. Wir alle sind dafür verantwortlich, welches Verhalten und welche Rollenbilder sich festigen und weitergegeben werden. Ich kaufe von nun an die blauen Rasierer bei Budni.
Wir brauchen keine Gleichmacherei
Unsere Generation braucht keinen Feminismus, der Röcke verbietet und Frauen verurteilt, die Einhörner und Glitzerkram mögen. Der moderne Feminismus ist keine Gleichmacherei. Gleichberechtigt sein heißt nicht, gleich zu sein. Frauen weinen vielleicht häufiger als Männer, aber sie sind deshalb nicht schwächer, weniger belastbar oder ungeeigneter für Führungspositionen. Vielleicht ist es sogar gesünder, ab und an zu heulen, als alles in sich reinzufressen und irgendwann mit einem Burnout zum Psychologen zu laufen. Wir müssen unsere Denkmuster aufbrechen. Man kann auch in einem rosa Notizbuch weltverändernde Gedanken aufschreiben. Und wer gern den Wirtschaftsteil liest oder Fußball guckt, muss nicht automatisch einen Penis haben. Ja, Männer sind körperlich anders gebaut als Frauen. Ihnen wachsen schneller Muskeln und sie können oftmals schneller laufen. Im klassischen Bürojob ist mir das herzlich egal. Ich habe einfach keine Lust mehr auf Sexismus. Ich habe keine Lust mehr, optisch bewertet, schlechter bezahlt, begrabscht und als Objekt, nicht als Persönlichkeit angesehen zu werden, nur weil ich Brüste und eine höhere Stimmlage habe. Und ich will Männer, die sich nicht nur über ihre Job-Position und Muskelmasse definieren, sondern auch putzen, Kinder auf dem Arm haben, weinen und Sekt trinken können, ohne sich dabei unmännlich zu fühlen. Ich finde es gleichzeitig auch in Ordnung, ab und an mit meinen Mädels einen Sekt aufzumachen und „Sex and the City“ zu gucken, während die Jungs Fußball schauen und Bier trinken. Wir dürfen Klischees erfüllen, aber sollten stets über den Tellerrand schauen und wissen, dass kein Mensch in nur eine Schublade passt. Gebt allen Geschlechtern die gleichen Chancen, Rechte und Gehälter, ob rosa oder blau gekleidet.
Feminismus ist immer noch wichtig. Denn solange wir über Gleichberechtigung reden müssen, gibt es noch viel zu tun. Wenn sich aber jeder an die eigene Nase fasst, seine Äußerungen kontrolliert, seine Rollenbilder reflektiert und hinterfragt, dann sind wir auf einem guten Weg. Als ich kürzlich im Alten Mädchen in der Schanze einen Wein und mein Kumpel ein Bier bestellte, fragte der Kellner beim Servieren ganz neutral, wer was bekommt. „Ist doch klar“, sagte mein Kumpel. „Nö, ich erleb hier alles“, sagte der Kellner. Und genau das ist die Einstellung, die wir brauchen.
Weiter geht’s, Leute!
Text: Anna Brüning
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