Veganismus ist mittlerweile in aller Munde. Nicht nur eine kleine Gruppe von Hippies predigt den Verzicht von tierischen Produkten, weltweit bildet sich ein Trend heraus, der unaufhaltsam scheint. Der Vegetarierbund Deutschland geht mittlerweile von rund sieben Millionen Vegetariern und ungefähr 800.000 Veganern in Deutschland aus – eine nicht zu verachtende Anzahl an Menschen.
Doch woher kommt dieser Sinneswandel? Ist es überhaupt gesund, komplett auf tierische Produkte zu verzichten? Welche Gründe gibt es für die Ernährungsumstellung? Ist das „Go Vegan!“-Motto vielleicht doch nur Teil eines Lifestyle-Trends, der schon bald wieder an Bedeutung verliert?
Wer sich dazu entschließt, vollständig vegan zu leben, stellt nicht nur seine Ernährung um. Auch auf sonstige tierische Produkte wie Kosmetik, Lederschuhe und Wollpullover wird komplett verzichtet, um Tiere in keiner erdenklichen Weise auszubeuten. Nicht jeder sucht den konsequenten Verzicht. Wer sich vegan ernährt, muss noch lange kein Tierschützer sein. Für viele Menschen steht viel mehr die eigene Gesundheit im Vordergrund.
Kuhmilch nein, Lederschuhe ja
Studentin Linda beispielsweise lebt seit zwei Jahren vegetarisch und versucht seit etwa einem halben Jahr, auch auf Milchprodukte zu verzichten. „Ich habe irgendwann beschlossen, dass ich keine Produkte mehr essen will, bei denen ich den Handelsweg nicht nachvollziehen kann. Bei Fleisch und Fisch habe ich angefangen“, sagt Linda. Schritt für Schritt hat sie sich informiert und Lebensmittel von ihrem Speiseplan gestrichen, die bedenklich für ihre Gesundheit sein könnten. Statt Kuhmilch trinkt sie heute lieber Mandel-, Haselnuss- oder andere Pflanzenmilch, die ihr nicht nur besser schmeckt, sondern auch gesünder ist und weniger Kalorien hat.
Komplett auf tierische Produkte zu verzichten, hat Linda aber nicht vor. Die modebewusste 25-Jährige studiert Bekleidungstechnik und hat gerade ein sechsmonatiges Praktikum beim DKNY Modekonzern in New York absolviert. „Lederschuhe, Fell- und Pelzsachen gehören einfach für mich zum Leben dazu. Da kann ich keine Abstriche machen“, so die Studentin.
Studien haben bewiesen, dass Fleischesser ein erhöhtes Dickdarmkrebs-Risiko aufweisen und wesentlich häufiger an Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit leiden als Vegetarier und Veganer. In „The China Study“ studiert der amerikanische Biochemie Professor T. Colin Campbell Krebs- und Herzkrankheiten im Zusammenhang mit unterschiedlichen Ernährungsweisen. Auch er stellt fest, dass viele Krankheiten durch die Einnahme von tierischem Eiweiß begünstigt werden. Umstritten sind bislang Mangelerscheinungen, die von einer veganen Ernährung herrühren können. Beispielsweise fehlt Veganern das Vitamin B12, das allerding in Form von Tabletten eingenommen werden kann.
Eine Frage der (Um-)Gewöhnung
So eine Ernährungsumstellung klingt toll, erfordert aber ein großes Durchhaltevermögen. Auch Studentin Lisie hatte am Anfang einige Hürden zu meistern. Die 26-Jährige ist schon seit zehn Jahren Vegetarierin, seit einem Jahr ernährt sie sich streng vegan. „Man muss schon sagen, dass ein veganes Leben anstrengender ist als ein nicht-veganes. Es hat ein bis zwei Wochen Recherche gebraucht, bis ich überhaupt wusste, was in verschiedenen Lebensmitteln wirklich drinsteckt. Vitamin D aus Fischöl, Milchsäure und die Karminfarbe, die aus Blattläusen gemacht wird, haben eben auch einen tierischen Ursprung und sind tabu für mich“, sagt Lisie.
Sie hat die Umstellung gewagt, als sie von einer vegan lebenden Freundin ermutigt wurde. Neben ihrem Sozialarbeit-Studium ist Lisie alleinerziehende Mutter einer dreijährigen Tochter. Ihre Vorbildfunktion und die Aufgabe, ihr Kind zu einem gesunden, vernünftigen Menschen zu erziehen, haben Lisie in ihrem Wunsch bestärkt: „Einige Kinder essen mit drei Jahren schon Chicken Wings und wissen gar nicht woher die kommen. Ich möchte meiner Tochter einen bewussten Umgang mit Essen, Tieren und der Umwelt vermitteln.“
Aus diesem Grund bekommt die Kleine in ihrer Kita und Zuhause veganes Essen. Ab und zu gibt es in der Kita auch mal ein Stück Schokolade, das will und kann Lisie ihrer Tochter nicht verbieten. Insgesamt ist sie mit der Ernährungsumstellung sehr zufrieden und fühlt sich fitter und leistungsstärker. Jeden Tag kommt frisches, selbstgekochtes Essen auf den Teller, das ohne schlechtes Gewissen genossen werden kann. Auch wenn es ihr ein hohes Maß an Eigenorganisation abverlangt, ist Lisie froh über den Wandel.
Vegane Supermärkte sind im Kommen
Echte Vollblutveganer wie Lisie haben es heutzutage nicht mehr ganz so schwer wie vor zwanzig Jahren. Denn mittlerweile gibt es in den meisten Großstädten eine kleine wachsende Anzahl von veganen Läden, Bistros und Supermärkten. In einigen deutschen Großstädten hat sich die vegane Supermarktkette Veganz bereits einen Namen gemacht. Auf über 400qm Ladenfläche werden hier Produkte des täglichen Bedarfs genauso wie exklusive Spezialitäten angeboten. Es gibt unter anderem eine lange Kühltheke, einen Früchte- und Nüssebasar und eine frische Salatbar. Neben Lebensmitteln werden außerdem Tiernahrung, Kosmetik und Bücher angeboten. Ein veganes Schuhgeschäft und ein Bistro gibt es ebenfalls.
Vegane Bioprodukte, die bestenfalls auch noch fair hergestellt wurden, sind gut für die Gesundheit und das Gewissen, aber wie sieht es mit dem Geldbeutel aus? Gerade wir unvermögenden Studis müssen oft genau auf unsere Ausgaben achten. Ist eine vegane Ernährung für uns überhaupt bezahlbar? Denn natürlich sind vegane Produkte oftmas etwas teurer als in einem Discounter Supermarkt. Damit junge Menschen bei ihrem Einkauf im Supermarkt Veganz sparen können, gibt es gegen Vorlage des Studentenausweises an unterschiedlichen Wochentagen zwischen 5 bis 10 Prozent Ermäßigung auf den gesamten Einkauf.
Den Tieren und der Welt zuliebe
Vegan leben – das ist mehr als nur Ernährung oder Lifestyle. Den meisten Veganern geht es nicht nur darum, die eigene Gesundheit zu schützen. Veganismus ist auch ein wichtiger Teil des Tierschutzes, da Tiere in keinerlei Hinsicht ausgebeutet werden. Denn auch wer auf Fisch und Fleisch verzichtet, aber beispielsweise Eier konsumiert, ist indirekt mit verantwortlich für das Schlachten von Hühnern. Was viele Menschen nicht wissen: Nachdem ein Huhn keine Eier mehr legt und dem Bauern so keinen Nutzen mehr bringt, wird es geschlachtet. Männliche Küken haben ein noch kürzeres Leben und werden oft massenweise vergast, da sie keine Eier legen und so nicht rentabel sind.
Wer sich genauer mit dem Thema auseinandersetzt, erschrickt oft darüber, was in der Massentierhaltung für Zustände herrschen. So auch Jan Niklas, der seit zwei Jahren Vegetarier ist und seit etwa fünf Monaten versucht, weitestgehend vegan zu leben. Der 23jährige Politikstudent hat sich aus moralischem Pflichtgefühl für die vegane Lebensweise entschieden, andere Gründe stehen für ihn an zweiter Stelle. „Ich finde, um das Töten oder Leiden von Tieren moralisch rechtfertigen zu können, brauchen wir einen guten Grund. Der gute Geschmack von Fleisch oder die Schönheit ihres Fells sind für mich keine guten Argumente“, sagt der Student.
Aus seiner Perspektive müssten langfristig auch Tierrechte im Gesetz verankert sein. Tiere sollten nicht mehr nur als ökonomische Ware oder Eigentum angesehen werden, sondern als Mitlebewesen, die genauso wie wir selbst ein Anrecht auf ein freies und gutes Leben haben. „Für mich geht es hier nicht um einen Lifestyle, ich will etwas bewegen. Aber viele Menschen sehen den Veganismus leider nur als Trend“, sagt Jan Niklas.
Neben der eigenen Gesundheit und den Tieren, tut man auch noch der Umwelt etwas Gutes mit einer veganen Ernährung. Denn jede Sekunde wird eine fußballfeldgroße Fläche abgeholzt, und das nicht nur für die Verwertung von Holz. Zum größten Teil werden die Flächen für die Nutztierhaltung und für die Produktion von Futtermitteln benötigt. Durch die enorme Verwendung von Gülle auf Ackerböden wird das Grundwasser verunreinigt und die Nutztiere selbst produzieren 18 Prozent der weltweiten Treibhausgase, die zum Klimawandel beitragen. Als Vergleich dazu, produziert der weltweite Verkehrssektor 13 Prozent der Treibhausgase. Durch eine Verringerung der Massentierzucht wäre der Umwelt also ein wenig geholfen.
Gesellschaftliche Entwicklung oder kurzlebiger Trend?
Die vegane Bewegung hat nachvollziehbare Gründe. Trotzdem sind viele fleischorientiere Verbraucher nach wie vor skeptisch und stempeln den Veganismus oft als kurzlebigen Trend ab, der von einigen Weltverbesserern ins Leben gerufen wurde. Christian Vagedes sieht in der Veganismus-Bewegung einen evolutionären Fortschritt in der Menschheitsgeschichte. Auch er hat früher gern Fleisch auf dem Teller gehabt, erst als werdender Vater kam der Bewusstseinswandel. Zusammen mit seiner Frau stieg er erst auf eine vegetarische, dann auf eine komplett vegane Ernährung um.
Am 1. November 2010, dem Weltvegantag, rief Vagedes den Verein Vegane Gesellschaft Deutschland ins Leben. „Unser Ziel ist es, Zukunftsfähigkeit zu schaffen und auf einen friedlichen Umgang mit unseren Mitlebewesen hinzuarbeiten“, so Vagedes. „Das Verzehren von Tierfleisch und tierischen Produkten ist nicht nur aus moralischen Gründen schlecht, es ist auch die pure Verschwendung. Die Pflanzen, die von Tieren als Futter gegessen werden, haben viel mehr Energie, als das Fleisch des Tieres letztendlich. Auf zehn vegane Kalorien, die als Futter verbraucht werden, kommt letztendlich nur eine tierische Kalorie. In einer Welt, wo ein Großteil der Bevölkerung Hunger leidet, ist das nicht zu verantworten.“
Ist eine vegane Ernährung womöglich die lang ersehnte Lösung? Falls ja, was passiert eigentlich mit den zum Verzehr gezüchteten Tieren, die keiner mehr essen will? Viele Tiere könnten in der Wildnis überhaupt nicht mehr überleben. „Klar ist, dass man eine Geburtenregulierung einführen müsste, die Zahl der Tiere wäre also drastisch reduziert“, schlägt Christian Vagedes vor. Wie eine vegane Welt aussehen würde, können wir uns heute noch nicht vorstellen. Bis jetzt lässt sich nur feststellen, dass der Veganismus eine gesellschaftliche Bewegung ist, die mehr und mehr Zustimmung findet.
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