Wäre Hamburg ein Mensch, wäre er leicht schizophren: Zutiefst mit sich unzufrieden und doch umso stolzer auf seine Schwächen. Hamburg vergleicht sich zwar oft und gern mit den Hauptstädten wie Oslo oder Kopenhagen, aber während diese immer cooler und grüner werden, preisen die Hamburger ja doch lieber die Hafenromantik, den „Dorfcharme“ und immer wieder auch „das Understatement“. Wenn sie Werbung schalten, zählen die Stadtmarketing-Menschen neben der Elphi seit eh und je die gleichen Dinge auf: Musicals, Reeperbahn und vielleicht noch die Rote Flora. Eigentlich ist klar: Revolutionen finden woanders statt.
Hier könnte ich wohl auch einen Punkt setzen, aber ich erzähle noch eine Geschichte. Neulich war ich mit einer Freundin in einem Schanzencafé. Neben uns teilte sich ein Pärchen einen prachtvollen Käsekuchen. Als wir gehen wollten und meine Freundin sich an ihrem Tisch vorbeidrängte, scherzte ich: „Sie will nur in die Nähe des Kuchens.“ Nicht dass ich dafür schallendes Gelächter erwartet hätte, aber die leeren Blicke fassten für mich die Essenz der sozialen Beziehungen dieser Stadt zusammen. „Hamburg halt“, zuckte meine Freundin mit den Schultern. Unerwarteter Kontakt oder gar zweckfreier Spaß mit Fremden führt hier meistens zu: Dummen Gesichtern. Erlaubt man sich einen Witz, sind die Hamburger meist derart peinlich berührt, als hätte man bei einem Empfang der Queen laut gerülpst.
Inzwischen habe ich, eine in Norddeutschland aufgewachsene Ukrainerin, mich an diese Spießigkeit gewöhnt, aber vor sechs Jahren machte sie mich fassungslos. Da zog ich aus dem verschlafenen Bremen hierher, um im Kulturbereich zu arbeiten, um geistreiche und offene Menschen kennenzulernen, die am Puls der Zeit leben und Visionen haben. So stellte ich mir, vielleicht etwas naiv, das Großstadt-Leben vor. Ich hatte ja nicht gewusst, dass Hamburg nie eine Großstadt sein wollte. Dass ich ständig in ausdruckslose Gesichter schauen würde, ob in der Mensa, bei WG-„Castings“ oder im Literaturhaus, wo Menschen, die einen Hauch Lebensgeist verströmen, meist bedeppert angestarrt werden. Regelmäßig schreiben die Menschen in der Facebook-Gruppe „Neu in Hamburg“, dass sie selbst nach fünf Jahren hier noch keinen Anschluss gefunden haben. Man könnte selbstverständlich auf Einzelfälle plädieren – und nein, eine verlässliche Datenbasis habe ich nicht. Aber mit wem ich auch spreche, jeder beschwert sich über dieselben Dinge: Kälte und Kleingeist.
- Hamburg fehlt der Mumm!
Was das Ganze nun mit Stadtentwicklung zu tun hat? Für mich liegt es auf der Hand. Wenn es schon in WGs, Uni-Mensen und Kulturinstitutionen so zugeht, mag ich mir gar nicht erst ausmalen, was für Menschen im Senat sitzen. Wie sie gegenüber neuen Entwicklungen stehen. Hamburg wird schließlich von Hamburgern gemacht. Und da ich mich sowieso längst unbeliebt gemacht habe, sage ich es einfach: Hamburger sind, ziemlich oft, echt lame. Natürlich gibt es unter ihnen welche, die die Dächer grün pflanzen, woke durchs Leben gehen, nicht jede neue Sache prinzipiell schwi-i-i-erig finden und auch mal Fremde auf der Straße anlächeln, wenn die Sonne scheint. Aber dass Hamburg Vorreiter für irgendwas wird, was nicht mit Musicals oder kostspieligen Status-Bauten zu tun hat, finde ich, naja, schwi-i-i-erig vorzustellen. Innovationen brauchen Geld oder Mut, meistens beides.
Kopenhagen investiert jährlich 20 Euro pro Einwohner in den Radverkehr. Hamburg gerade mal 3,50 Euro, wie man unseren Fahrradwegen auch ansieht. Undenkbar, dass Hamburg sämtliche Kantinen auf Bio umstellt, wie es Kopenhagen in nur zehn Jahren ohne Zusatzkosten schaffte. Oder einen CO2-neutralen Stadtteil wie Nordhavn baut. Oder wie Oslo mit Mautgebühren auf nicht elektrische Autos den Stadtverkehr verändert. Natürlich gibt es in diesen Ländern keine Autoindustrie, die die Politik versklaven würde wie hierzulande. Und vielleicht wäre es sogar klug, abzuwarten und von den Fehlern anderer zu lernen, würde uns nicht ziemlich bald eine Klimakatastrophe drohen. In Oslo und Kopenhagen hat man das verstanden. Genau das ist der Punkt: Trotz gelegentlicher Kritik stehen die meisten Bürger hinter grüner Politik. Und hinter unkonventionellen Lösungen. Die Städte nehmen Geld in die Hand, setzen sich ehrgeizige Ziele und erreichen sie auch. Während die Hamburger eben das machen, was sie am besten können – ein ausdrucksloses Gesicht.
Foto: privat (1)
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