uniscene

News aus Hamburg
NEUE GAMING-SZENE

Hamburger eSports knackt das nächste Level

20181028_Adela-Sznajder_ESLOne-Hamburg_05946.jpg

eSports überholt mit seiner wachsenden Community und neuen Investitionen die traditionellen Sportarten. Auch Hamburg erkennt die Chancen und setzt mit seiner Gamingszene auf das neue Potential und könnte schon bald Europas Gaming-Hotspot Nummer 1 werden.

Früher war Computerspielen eine Einbahnstraße. Die Konsole, ein Fernseher und eine Spielfigur, die Pilze sammelte oder sich in einen blauen Ball verwandelte. Nintendo, Play-Station, Sega und Xbox brachten das Gaming in Jugend- und Studentenzimmer, wo man unter sich blieb. Heute laden wir uns für unterwegs Mobile Games aus dem App Store, Online Gaming eröffnet uns große internationale Spielfelder am PC und über Twitch & Streams schauen wir zu, wie andere Gamer ihr Spiel meistern. Was früher Zocken war, ist heute eSport geworden – und mittlerweile mehr und erfolgreicher denn je im realen Leben angekommen. Das zeigte auch die „ESL One 2018“. Von den 12.000 Plätzen in der Hamburger Barclaycard Arena waren beim Event im Oktober nur wenige unbelegt. Riesige Leinwände zierten die Bühne, effektvolle Lichtinstallationen schossen durch die Halle und die Zuschauer rasteten komplett aus. Die drei Tage dauernde „ESL“ fand zum zweiten Mal in Folge in Hamburg statt. Bei dem internationalen Großereignis, das unter „Dota 2"-Gamern als wichtigstes Event in Europa gilt, kämpfen sich Teams aus verschiedenen Ländern in dem Multiplayer-Battle in mehreren Runden zum Sieg. Der Lohn: Ein Gesamtpreisgeld von 300.000 Dollar!

Die „ESL-One“ im Oktober: Fast 12.000 Zuschauer verfolgten die Spiele über riesige Leinwände und feierten ihre Teams.

Was auf den ersten Blick nach entspanntem Zocken unter Freunden klingt, setzt Nerven aus Stahl und viel Sitzfleisch bei Gamern und Zuschauern voraus. Denn es gibt kein vorgegebenes Zeitfenster. Gespielt wird bis das gegnerische Hauptgebäude auf dem Onlinespielfeld fällt. Bei magischen Avataren mit zahlreichen Leben kann ein Battle somit schon mehrere Stunden dauern. Für das europäische Team Secret kein Problem: Sie setzten sich in über acht Runden gegen den amtierenden Sieger Virtus.pro durch und holten den Pokal. „Die Leistungen sind kräftezehrend“, sagt Christopher Flato, Senior Communications Manager des Veranstalters „Alle Spieler müssen volle Konzentration, Kommunikations- und Teamfähigkeit aufbringen, was über Stunden jede Kraftreserve beansprucht. Diese Fähigkeiten sind auch bei traditionellen Sportarten unabdingbar. Das Zusammenspiel von entscheidenden Eigenschaften des Teamsports sind bei einem Turnier wie der ‚ESL One‘ notwendig und bedeuten den entscheidenden Klick.“
 

  • Sport vs. eSport?

Das ewige Vorurteil „eSport ist gar kein richtiger Sport!" ist in der Community längst hinfällig. „Vor allem Außenstehende verstehen den eSport durch den Vergleich mit anderen Sportarten aber besser“, sagt Kiara Hufnagel. Sie beobachtet die Entwicklung der Szene seit vielen Jahren als ehemalige Chefredakteurin von „Dexerto Deutschland", einer der führenden Newsseiten im eSports-Entertainment, und für das Web-Magazin „Red Bull Game Date". „eSports ist nicht der kleine Bruder des konventionellen Sports. Da hinkt Deutschland gedanklich noch einige Jahre hinterher – was viele Themen angeht, die mit der Internetkultur in Verbindung stehen. Es fehlt an Akzeptanz. Ist diese gegeben, kann eSport auch gefördert werden und in der Gesellschaft ankommen.“

Kiara Hufnagel – ehemalige Chefredakteurin von „Dexerto Deutschland“

Zu den Top 5 der weltweit erfolgreichsten Gamer gehören Amer-Al Barkawi (Jordanien), Saahil Arora (USA), Ivan Ivanov (Bulgarien) und Lasse Urpalainen (Finnland), die über die Community hinaus in ihren Heimatländern Starstatus besitzen und zusammen mehr als 11 Millionen Dollar erspielt haben. Und in Deutschland? Hier lebt der finanziell erfolgreichste eSportler der Welt. Und kaum einer weiß es. Der Berliner Kuro Salehi Takhasomi sicherte sich bisher mehr als 3 Millionen Dollar Preisgeld und feiert weiterhin Spiel für Spiel internationale Erfolge mit „Dota 2".
 

  • Erfolgreiches Uni-Team

Kleinere Talente finden sich auch in Ligen, die noch nicht auf den Bühnen der „ESL One“ spielen. Das Team TUHH GamING der TU Hamburg beispielsweise vertritt die Hansestadt in der ersten Liga der „University eSports Germany“ (UEG). Gespielt wird „League of Legends“. Daneben betreibt die UEG aktuell vier weitere Ligen: „Counter-Strike“, „Rocket League“, „Overwatch“ und „Hearthstone“. „Ich bin zufällig auf die Uni-Liga gestoßen“, so Christian Puls, Bauingenieur-Student und Teamchef von TUHH GamING. „Durch einen Sieg im Qualifikationsturnier durften wir dann sogar direkt in der 1. Liga starten und belegten in unserer ersten Season im Wintersemester 2016/2017 Platz 1.“ Die darauffolgende Teilnahme bei den europäischen „University eSports Masters“ in Porto brachte den Hamburgern den 2. Platz ein.

Auch ein Ergebnis des klaren Trainingsplans: Dreimal die Woche wird gemeinsam gespielt, Spielstrategien werden getestet, umgestellt und erneut ausprobiert. Ein Aufwärmspiel vor dem Wettkampf sorgt für das fokussierte Tunier-Gaming. Ressourcen zum Ausbau des Teams auf Profisportniveau fehlen aber. Dauer-haftes Coaching zur Spielanalyse, mehr Raum für Technik und finanzierte Turnier-Reisen wären ein Anfang. Außerdem ist die Zeit als UEGPlayer nur mit einem Studentenstatus möglich. Wer sein Studium absolviert hat, verlässt die Liga. Ein fließender Übergang fehlt. „Frankreich, Spanien und Portugal sind im Vergleich zu Deutschland deutlich weiter in ihren Strukturen. Wir befinden uns erst im Mittelfeld. Aber für die deutsche eSports-Szene wäre es ein großer Schritt auch in Vereinen zu spielen“, ist sich Christian sicher.

Das Team der TUHH-Gaming der Technischen Uni Hamburg zockt in der 1. Liga der „University eSports Germany“. 

Die Talente sind also auch in Deutschland vorhanden, jedoch fehlt bisher die öffentliche Unterstützung. Vorsichtige Schritte auf dem Neuland hat der HSV unternommen. Erst kürzlich verkündete der Verein offiziell die Eröffnung seines eigenen eSports-Departements, das eine verantwortungsbewusste Umgebung und Raum für neue Entwicklungen sowie die Förderung der Szene vorantreiben soll. „Welches Interesse das Thema nach sich zieht, zeigt auch die Entwicklung in den anderen großen Sportvereinen," so Christoph Meier, Redakteur bei „Game Two", einem Gaming-Magazin. „Auch der VfL Wolfsburg und der FC Schalke 04 rekrutieren bereits FIFA-Game-Profis für ihre eSports-Abteilungen.“
 

  • Eine Arena für Hamburg?

Als aktiver und leidenschaftlicher Spieler würde sich Christoph wünschen, dass neue Impulse auch von der Politik gesetzt werden. „Zwischen CDU/CSU und SPD wurde im Februar 2018 zumindest festgelegt, dieses Thema deutschlandweit anzugehen. Die Möglichkeiten der Unterstützung im Amateur- und Profibereich würden viel offener sein, was Fördermittel und neue Strukturen mit sich bringt. Dieses Wachstum darf nicht unnötig ausgebremst werden“, so Christoph. Wie lange es aber tatsächlich noch dauert, bis die Verantwortlichen relevante Entscheidungen treffen, bleibt ungewiss. Konkrete Maßnahmen hat bisher noch niemand unternommen – was für die Community und Macher jedoch noch lange kein Grund ist, den Pausen-Knopf zu drücken und zu warten.

Auch in Hamburg gehen derweil weitere Pläne an den Start: Die ELC Gaming GmbH plant eine eigene Arena. Das Unternehmen aus Siek, das sich der Organisation von Turnieren und dem Ausbau des eSports verschrieben hat, möchte Hamburg zum Zentrum der Szene machen. Die mögliche Location befindet sich derzeit noch in Planung und soll circa 2000 Quadratmeter Fläche umfassen. Mit riesigen Leinwänden für detaillierte Spieldarstellungen, privaten Lounges für Gamer, Restaurants und einem ganzheitlichen Spielerlebnis, das Gamer bereits beim Betreten des Foyers abholt sowie zentraler Lage soll das Projekt punkten. Baustart könnte schon 2019 sein. Ein eigenes Stadion für Events, Messen und Talentscouting würde einem Ritterschlag gleich kommen. Nach den bestehenden und vergleichbaren eSports-Arenen in Peking,  Santa Ana sowie den geplanten Projekten in Las Vegas und Oakland würde Hamburg als erster Standort Europas für Aufsehen sorgen.

Christoph Meier – Redakteur des Gaming-Magazins „Game Two“

  • Werbemarkt mit Potential

Klar, dass in diesen Zeiten auch die ersten Firmen mit crossmedialer Werbung nicht auf sich warten lassen. Teamsponsoring, die Einbindung von Influencern oder die Umsetzung eigener Events sind nur der Beginn. So produzierte zum Beispiel die Bausparkasse Wüstenrot gemeinsam mit ESL-Host und Influencer NiksDa Videoportraits und erklärte zielgruppengerecht, wozu Bausparen gut sein kann – eben auch für Gamer-Träume. Doch die unentdeckten Berührungspunkte zwischen branchenfremder Marke und Endkunden hindern viele interessierte Unternehmen an Kooperationen.

Abhilfe schafft unter anderem die neu gegründete Hamburger Agentur blackbird eSports am Rödingsmarkt. Inhaber Reza Abdolali machte sich selbst zuvor als Spielejournalist einen Namen und war zudem als PR-Manager für Virgin Interactive tätig. Jetzt will der Managing Director mit seiner Full-Service-Agentur Unternehmen den Einstieg erleichtern. „Aus unserer Sicht geht es um zwei Punkte: Authentizität und Nachhaltigkeit. Es geht weniger darum, sich als Marke in der Community zu präsentieren, sondern vielmehr darum, ein Teil von ihr zu werden.“ Bei den Reichweiten internationaler Streamings ist es logisch, dass die Lust an der Investition steigt. „2016 verfolgten insgesamt 42 Millionen Zuschauer weltweit online die ‚League of Legends World Championship Finals’. Zum Vergleich: Im selben Jahr schauten circa 30 Millionen Zuschauer das entscheidende 7. Spiel der NBA-Finalseries“, so Reza.

Reza Abdolali – Managing Director der Full-Service-Agentur blackbird eSports

  • Wir sind alle Gamer

Der wachsende Trend beeinflusst auch die Entwicklung und die Vermarktung neuer Spielewelten für Developer sowie Publisher abseits des eSports positiv. Die immer größer werdende Zielgruppe wird zur willkommenen Herausforderung, die ein Überdenken der Definition „Gamer“ mit sich bringt. „Viele Nutzer spielen heute auf mobilen Endgeräten. Ich bin aber überzeugt, dass sich einige Smartphone-User nicht als Gamer bezeichnen würden“, so Christian Pern, Chief Marketing Officer bei InnoGames. Das 2007 gegründete Unternehmen war 2003 noch ein Hobbyprojekt und zählt heute zu den führenden Entwicklern browser- und mobilbasierter Games mit Sitz in Hammerbrook. Games sind laut Christian inzwischen fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Aber was macht eigentlich ein gutes Spiel aus? „Vor allem Multiplayer-Elemente wie das gemeinschaftliche Spielen in Allianzen und der Wettstreit mit anderen Spielern ist ein wesentliches Element. Ein solches Konzept funktioniert unserer Erfahrung nach überall – und das sehr nachhaltig,“ so der Marketingexperte. 

Die Teilnehmerzahl ist unendlich, das digitale Spielfeld grenzenlos und der gemeinschaftliche Anspruch kennt keine Altersbegrenzung. Es geht der Community um das Kreieren eines gemeinsamen Eventcharakters, in dem das Spiel im Mittelpunkt steht – und bleibt. Die Zeichen stehen gut, dass die eSports-Szene ihre Chance nutzt, um neue Vermarktungswege in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie lädt nun Außenstehende eher ein teilzunehmen, statt sich den Controller aus der Hand reißen zulassen. eSports auf dem direkten Weg, neue Märkte und Massen zu erschließen. Und wo sich andere Sportarten dem Ausverkauf hingeben, verkörpert eSport noch genau jene Eigenschaft, die Sport eigentlich vermitteln sollte: Gemeinsam spielen macht eben immer noch am meisten Spaß.

Christian Pern – Chief Marketing Officer bei InnoGames

 

Text: Constantin Jacob
Fotos: ESL (1), TUHH/F.Schmied (1), ESL/Sznajder (3), privat (3), Raetzke (1)

 

Nach
oben
×
×
Bitte richten Sie ihr Tablet im Querformat aus.