Ich hab’s verkackt. Alles ist schief gegangen. Shit. Na, wer mag dieses Gefühl? Wer findet es cool, ein Projekt so richtig vor die Wand zu setzen? Scheitern fühlt sich nicht gut an. Es tut weh, die eigenen Vorstellungen aufgeben zu müssen und einzusehen, dass man Fehler gemacht hat. Egal, ob es um die Liebe, um den Vortrag in der Uni, um das Startup oder um ein Projekt im Job geht. Niemand will das. Doch jedem passiert es. Im Kleinen, wenn das Essen anbrennt, obwohl du gerade dein Date beeindrucken wolltest, und im Großen, wenn du dein gesamtes Erspartes in deine eigene Firma gesteckt hast, die kurz vor der Insolvenz steht.
QUALITÄT MADE IN GERMANY - INNOVATION MADE IN THE USA
In den USA gehört der Umgang mit Misserfolgen zur Kultur des Landes. Der „Gründergeist“, der den Amerikanern seit jeher nachgesagt wird, beinhaltet eben auch, offen zum Scheitern zu stehen. Hier werden Ideen lieber schnell und unfertig auf den Markt gebracht, als ewig zu perfektionieren. Amazon Gründer Jeff Bezos steht offen dazu, Milliarden in den Sand gesetzt zu haben, beispielsweise mit dem Fire Phone. Das gehöre eben dazu, wenn man experimentierfreudig, kühn und mutig sei, sagte er in verschiedenen Interviews. Und nur mit diesen Eigenschaften sei auch Erfolg möglich.
Wir hingegen sind es gewohnt, perfekte Ergebnisse abzuliefern. Gute Noten, gute Abschlüsse. Der lückenlose Lebenslauf als berufliches Ziel. Und überall lauern in den Medien die Erfolgsstories von vermeintlich perfekten Vorbildern. So setzt sich vor allem ein Gedanke in unseren Köpfen fest: Bloß keine Fehler machen und lieber alles doppelt und dreifach kontrollieren. Dadurch entstand zwar „Qualität made in Germany“, aber eben kaum Innovation. Und deshalb hinken wir Deutschen in immer wichtiger werdenden Branchen wie Elektroantrieb, Virtual Reality, Künstliche Intelligenz und Robotik inzwischen ganz schön hinterher.
DRUCK RAUS UND FEHLER AKZEPTIEREN
Doch der Spirit schwappt zum Glück inzwischen zu uns rüber. Firmen laden zu „FuckUp Nights“ ein. Magazine schreiben über gescheiterte Unternehmen, ohne sie zu verurteilen. Ratgeberbücher wie „Die heilende Kraft des Scheiterns“ kommen auf den Markt. Die Show „Die Höhle der Löwen“ feiert die Innovationskraft deutscher Gründer.
Und hey, als Hamburger haben wir mit der Elbphilharmonie doch erlebt, wie aus dem Scheitern am Ende doch noch etwas Grandioses entstehen kann. Die Kosten explodierten, die ursprünglichen Pläne scheiterten, es wurden zahlreiche Fehler gemacht, über die diskutiert, gemotzt und gemeckert wurde. Und jetzt steht das Ding – und alle finden’s super. Wer etwas wagt, geht immer Risiken ein. Wer scheitert, lernt daraus. Und aus diesen Lehren können wir dann etwas noch Besseres, noch Größeres aufbauen. So langsam verstehen das auch wir Deutschen, die sonst als überkorrekt gelten. Wer seinen Fehler analysiert, weiß, wie es in Zukunft besser läuft. Erst durch Fehler wird oftmals klar, an welcher Stelle es hakt, wo Fehler überhaupt passieren können.
Die Einsicht, dass Misserfolge normal und menschlich sind, nimmt für viele den Druck raus. Niemand ist perfekt. Das ist beruhigend. Egal wie sehr wir uns anstrengen, es wird nie alles gut gehen. Aber wir alle können versuchen, Rückschläge als Erfahrungen einzuordnen und es in Zukunft besser zu machen. Das ist wie bei dem Kind, das auf die heiße Herdplatte fasst. Macht es nur einmal. Ziemlich schmerzhafte, aber wichtige Erfahrung. Und auch als Erwachsener verbrennt man sich ab und an.
So wie Panos Meyer, seit sechs Jahren Wahl-Hamburger. Er hat vieles richtig gemacht. Bereits 2012 hat er mit golf.de Deutschlands größtes Golf-Netzwerk entwickelt. Als leidenschaftlicher Vielflieger stieß er eines Tages auf ein Video für eine Vielflieger-App.
Zum einen konnten hier alle wichtigen Informationen zum Flug eingesehen werden, der Vielflieger-Status wurde aktuell gehalten und es gab nette Zusatzinfos wie die insgesamt geflogenen Kilometer und welchen Anteil diese Kilometer an der Strecke zum Mond hätten.
Zum anderen ermöglichte die App das Vernetzen mit anderen Vielfliegern, um durch die Interaktivität mehr Spaß in die dröge Reiserei zu bringen. Ein Social Network für Vielflieger, sozusagen.
„Die Idee stammte aus einer Abschlussarbeit von drei Studenten des Copenhagen Insitute of Interaction Design (CIID)“, erzählt Panos. „Ich hab das Video zu der App via Twitter gefunden und die Uni kontaktiert.“
Eigentlich war diese Idee rein virtuell, nur für die Abschlussarbeit erfunden. Doch Panos war on fire. Er traf sich mit den Studenten und machte Nägel mit Köpfen. „Wir haben bereits wenige Wochen nach unserem ersten Kennenlernen gegründet“, erzählt er. Die flying App wurde innerhalb der ersten zwölf Monate der Zusammenarbeit entwickelt und konkretisiert, 2013 wurde gelauncht. „Es war eine Herausforderung, da meine drei Mitgründer aus Chicago, Wien und Amsterdam kamen und wir somit sehr verstreut auf der Welt waren.“ Trotzdem: Der Launch klappte wie geplant. Die erste Finanzierungsrunde kam von Panos selbst, das erste externe Investment kam von einer Hamburger Unternehmensberatung. Trotz des Investors floss zu wenig Geld, trotz vieler Premium-Nutzer rechnete sich das Modell nicht.
„Wir benötigten einfach wesentlich mehr, als wir durch die Umsätze generieren konnten, um laufende Kosten zu zahlen“, so Panos. Als den Gründern bewusst wurde, dass sie irgendwann in der Insolvenz landen würden, entschieden sie sich dafür, den Geschäftsbetrieb rechtzeitig einzustellen. „Es war ein sehr trauriger Tag. Wir waren alle sehr emotional. Es war aber auch ein guter und wichtiger Schritt.“ Panos und seine Mitgründer erklärten offen in einem Blogbeitrag, wieso sie sich für diesen Schritt entschieden hatten, tranken Wodka-Champagner und „landeten“ mit Stil. Für alle Nutzer gab es noch ein letztes Update, das „großartigste Update aller Zeiten“, in dem alle Premium-Funktionen freigeschaltet wurden. Und damit war es vorbei. Fast zumindest.
Denn das was folgte, war für die Gründer überwältigend: Ihr E-Mail Postfach war voller Angebote. „Wir haben kostenloses Hosting, Software, Büroräume und sogar kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten angeboten bekommen. Wir benötigten jedoch eine Finanzierung und somit waren diese Angebote zwar sehr gut gemeint, halfen jedoch nicht, um ein Überleben zu gewährleisten.“
Panos konnte schließlich die App in die USA verkaufen, stieg selbst aber aus. Überraschenderweise wurde sein Scheitern fast schon zu seinem persönlichen Erfolgsmodell. Denn: Danach lief es besser denn je. „2014 war das Scheitern gerade ein heißes Thema, es war aber schwierig, Menschen zu finden, die über das Thema sprechen. Ich wurde viel häufiger als vorher als Speaker gebucht, um von meinem Scheitern zu erzählen. So konnte ich mein Netzwerk erweitern und hab viele tolle Leute kennengelernt.“
Er arbeitete daraufhin drei Jahre bei Twitter, inzwischen ist Panos Director Business Development und Marketing in der Digitalagentur CELLULAR, die am Fischmarkt in Hamburg sitzt. „Wer das hier liest: Bewerbt euch gern bei uns! Wir haben aktuell über zwölf offene Stellen in allen Bereichen.“ Und natürlich sind hier auch Bewerber mit einem „unperfekten“ Lebenslauf willkommen.
IDEE VERKAUFT, WEITERSTUDIERT, NEU GEGRÜNDET
Die Geschichte von Andreas Kitzing begann, als Anfang 2007 StudiVZ für 85 Millionen Euro an Holtzbrinck Ventures verkauft wurde. „Als ich mich mit meinen Freunden über den Verkauf unterhalten habe, hat einer meiner Kumpels erwähnt, dass es in Ungarn kein soziales Netzwerk gab. Wir dachten uns: ‚Dann gründen wir dort eben ein eigenes!’“ Die Idee zu CollegeFriends war geboren.
Der heute 31-Jährige studierte zu diesem Zeitpunkt BWL an der Uni Hamburg. Er hatte schon mal kleine Webseiten für Fahrschulen gebaut und dachte sich ganz optimistisch, dass so ein soziales Netzwerk schon nicht so schwierig sein kann. „Wir hatten eh kein Geld, um Programmierer zu bezahlen“, erzählt er. Also steckte er viel Zeit und Herzblut in die Entwicklung. „Ein paar Monate später war tatsächlich ein eigentlich funktionsfähiger Prototyp fertig. Doch wir waren noch nicht zufrieden. Wollten immer weiter optimieren und verbessern.“ Und all das ohne Geld.
Der Launch wurde immer weiter verschoben. Von Januar auf März 2008, dann immer weiter nach hinten. „Irgendwann hat das Projekt so viel Zeit gefressen, dass wir uns überlegen mussten, ob wir weiter studieren oder Vollzeit an CollegeFriends arbeiten“, erzählt Andreas. „Wir waren uns uneinig, ob wir das Studium abbrechen sollten. Außerdem ging uns das Geld aus und wir hatten keine Zeit für einen Neben-job. Letztendlich haben wir nie gelauncht und College-Friends im August 2008 für ein paar hundert Euro auf eBay verkauft.“
Andreas war zu dem Zeitpunkt einfach nur noch froh, dass sich ein Käufer gefunden hatte. „Im 3. Semester hatte ich einen Notenschnitt von 4,7, weil ich fast gar keine Zeit mehr ins Studium investiert habe. Erst nach dem Verkauf von CollegeFriends lief es wieder besser. Zudem konnte ich mich auf meinen neuen Nebenjob im Customer Service beim HSV konzentrieren.“
Wer nun denkt, dass Andreas sich für den einfachen Weg entschieden hat, irrt sich. Denn CollegeFriends war zwar gescheitert, doch Andreas gründete noch einmal. „Als wir die Idee zu Sponsoo entwickelt haben, war mir sofort klar, dass ich das umsetzen will.“ Der neue Plan: ein Marktplatz für Sportsponsoring.
Mit den Erfahrungen aus der ersten Gründung konnte Andreas nun vieles besser machen. „Ich habe vor gelernt, neue Geschäftsideen viel früher am Markt zu testen. Mit meiner neuen Firma Sponsoo haben wir nach ein paar Wochen den ersten Prototyp unserer Website online gestellt. Aus dem Feedback der Nutzer, welche Funktionen ihnen fehlen, haben wir dann abgeleitet, woran wir als nächstes arbeiten sollten. Der LinkedIn-Gründer Reid Hoffman hat mal gesagt: ‚Wenn dir die erste Version deines Produkts nicht peinlich ist, hast du zu spät gelauncht.’ Recht hat er!“ Sponsoo funktioniert, hat inzwischen einen deutlich sechsstelligen Umsatz und 15 Mitarbeiter. Das zweite Geschäftsmodell des Hamburgers ging auf. Und genau wie Panos sucht auch Andreas neue Mitarbeiter.
VOM SCHEITERN LERNEN
Panos und Andreas sind zwar gescheitert, aber haben nie ihren Mut verloren und im Anschluss richtig Karriere gemacht. „Es ist immer noch besser, vergeblich etwas Neues zu versuchen, als gar nicht erst damit anzufangen“, so Andreas’ Fazit aus seinem Werdegang. Zudem sei es nicht nur wichtig von den Erfolgen, sondern auch von den Fehlern anderer zu lernen.
„Ein Beispiel aus der Wissenschaft: Viele Akademiker versuchen lieber, in ihrer Forschungsfrage einen zweifelhaften Zusammenhang zu konstruieren, als eine Arbeit zu veröffentlichen, die nachweist, dass zwei Variablen nicht zusammenhängen“, erklärt Andreas. „Als Folge werden viele Forschungsprojekte unnötig mehrfach durchgeführt. Wenn gleich der erste Akademiker publiziert hätte, dass seine Untersuchung kein spannendes Ergebnis hatte, hätten sich die anderen auf ein anderes Thema konzentrieren können.“ Also: Sprecht offen über Fehler, die ihr begangen habt. Daraus können wir alle lernen. Habt Mut, macht gute und schlechte Erfahrungen, probiert euch aus. Das gilt nicht nur für den Job und das Studium, sondern auch für Politik, Liebe und Freundschaften.
Also: Besucht FuckUp Nights in Hamburg, seid offen, lasst euch inspirieren und scheitert besser denn je. Das Scheitern kann die Welt verändern. Auf geht’s! Wir wünschen euch auf jeden Fall: Happy Fail!
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FUCKUP NIGHTS HAMBURG Bühne frei fürs Scheitern! Es ist total unterhaltsam, komisch und lehrreich, die FuckUp-Geschichten der Speaker zu hören. Lernt aus den Fehlern anderer und macht es besser! Neben den ofiziellen FuckUp Nights ist das Thema auch auf vielen anderen Podiumsdiskussionen bei Netzwerktreffen oder in Unternehmen präsent. Mehr Infos und Termine unter fuckupnights.com und facebook.com
GESCHICHTEN ÜBERS SCHEITERN Die Berliner Julia Dalibor und Felix Hanke schreiben auf ihrem „Ungehobelt“ Blog über Misserfolge, schlechte Tage und Menschen, die am Tiefpunkt ihrer Karriere stehen. „Denn nichts macht uns stärker als zu scheitern“, sagen die beiden. „Und nichts bringt uns im Leben weiter, als aus eigener Kraft aus schwierigen Phasen gestärkt herauszutreten.“ ungehobelt-blog.de
SCHEITERN FÜR ANFÄNGER Die Berlinerin Maggie führt auf ihrem YouTube Channel „Scheitern für Anfänger“ Interviews und erzählt aus ihrem eigenen Leben zwischen Erfolg und Scheitern. Erfrischend ehrlich, witzig und cool. Auch Rapper Curse und Schauspieler Ralf Moeller standen ihr schon Rede und Antwort. Unbedingt reingucken oder -hören unter soundcloud.com/ scheiternfueranfaenger und youtube.com
Wieso ein sofortiger Erfolg eher die Ausnahme darstellt, erklärt euch Tanja Lenke (Business Consultant, Gründercoach & Mentorin) in folgendem Interview!
Text: Anna Brüning
Foto: iStock (1), privat (2)
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