„Ich wurde gerade als Fotze beschimpft!“, begrüßte mich eine Freundin kürzlich, als wir zum Mittagessen verabredet waren. Sie war in einem Interview-Video zu sehen, in dem es um ein politisch aufgeladenes Thema ging. Die Beleidigungen kamen schnell. An ihr perlten die Kommentare ab – zum Glück.
Aber das Schlimme ist: Man hat sich schon so an den Hass gewöhnt, dass man, wie meine Freundin, mit einem Schulterzucken reagieren kann. Ist doch schon normal. Bullshit! Beleidigungen sollten niemals normal sein, weder im realen noch im digitalen Leben.
Wer sich online mit echtem Namen und echter Meinung positioniert, muss momentan damit rechnen, beschimpft zu werden. Die Internet-Trolle lauern überall. Juden, Ausländer, Frauen, Behinderte, Schwarze, Dicke, Dünne, Linke, Rechte – jeder wird weggebasht. Mit Beleidigungen, Sexismus, Rassismus, ausgedachten Fakten sowie Degradierung. Und was den Idioten sonst noch so einfällt.
Das hilfreiche Feedback und die interessanten Diskussionen, die sich Journalisten und Blogger einst durch die Kommentar-Funktion erhofften, ist allenfalls gut versteckt zwischen viel, viel Hass und Häme zu finden. Ja, man hat sich fast daran gewöhnt. Aber es wird höchste Zeit, sich wieder aufzuregen und aktiv zu werden. Auch, wenn ihr keine Hate Speech Opfer seid.
Was geht mich das an?
Die politische Stimmung ist durch das ständige Bashing im Netz extrem aufgeladen. Wer sich in seinem Leben gerade verunsichert, unwohl oder ohnmächtig fühlt, weil es beispielsweise im Job nicht so läuft wie geplant, der sucht sich Rat im Netz. Wenn man dann Populismus und Fake News liest, könnte man in solch einem Moment schnell manipuliert werden und sich gegebenenfalls eine ebenso populistische Meinung bilden. Wut, Gewalt, Sexismus und Fremdenhass übertragen sich vom digitalen ins echte Leben. 2015 verfünffachte sich die Anzahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime. Unter dem SPIEGEL ONLINE Artikel zu diesem Thema findet sich folgender Text an der Stelle, an der sonst Kommentare stehen:
„Liebe Leserinnen und Leser,
im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf SPIEGEL ONLINE finden Sie unter diesem Text kein Forum. Leider erreichen uns zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene, beleidigende oder justiziable Forumsbeiträge, dass eine gewissenhafte Moderation nach den Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich ist. Deshalb gibt es nur unter ausgewählten Artikeln zu diesem Thema ein Forum. Wir bitten um Verständnis.“
Die Hetze ist so extrem, dass sie selbst für Profis nicht mehr zu händeln ist. Das ist erschreckend. Das macht Angst. Denn was passiert, wenn all dieser Hass sich in Wahlergebnissen zeigt? Wenn die populistischen Parteien so viel Zuspruch bekommen, dass sie in Deutschland plötzlich etwas zu sagen haben? Spätestens, wenn unsere Demokratie und unsere freiheitliche Grundordnung bedroht sind, geht Hate Speech uns alle etwas an.
Diese Ausgabe der UNISCENE erscheint zwar erst, wenn die Bundestagswahl schon gelaufen ist, Redaktionsschluss ist allerdings vor der Entscheidung. Daher können wir zum Ergebnis noch nicht Stellung beziehen. Doch auch wenn die Populisten nicht in den Bundestag einziehen, haben sie erschreckend an Bedeutung gewonnen, werden zu den großen Diskussionsrunden in Talkshows eingeladen und sind in den Medien extrem präsent.
Hate Speech sei Dank: Mit Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Feministinnen-Hass steht man schließlich nicht allein da, diese Bestätigung kann man sich täglich im Netz holen. Und Donald Trump hat gezeigt: Damit kann man sogar Wahlen gewinnen.
Also, was kann man gegen den Hass tun? Wie schaffen wir es, nicht hilflos zuzuschauen, sondern einzugreifen, ohne selbst daran zu zerbrechen?
Fakt ist: Trolle sind nicht wie Pickel, die irgendwann verschwinden, wenn man sie lang genug ignoriert. Sie sind hartnäckig. Sie bleiben. Um bei der Hautbild-Metapher zu bleiben: Sie sind wie das bösartige kleine Muttermal, das man lieber wegschneidet, bevor es großes Unheil anrichten kann.
#ichbinhier: Im Team gegen Hate Speech
„Diejenigen, die hetzen und andere beschimpfen, sind sehr laut, sehr präsent. Sie wirken als Gruppe viel größer, als sie eigentlich sind“, sagt Florian Röder aus Pinneberg. „Trotzdem geben die Medien ihnen viel Raum, einfach weil sie so stark wirken. Viele andere Menschen ziehen sich aufgrund des Hasses und des abschreckenden Tons zurück. Sie werden nicht mehr gehört und der Raum wird komplett den Lauten und Aggressiven überlassen. Irgendwann sind da nur noch Trolle, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Das gilt es zu verhindern.“
Florian regt sich seit Jahren auf. Der 40-Jährige versuchte immer wieder, gegen den Hassanzuschreiben, erzählt er: „Doch Rassismus, plumpe Vereinfachungen und Verdrehungen von Fakten ermüdeten mich irgendwann. Das tat mir nicht mehr gut.“ Allein verließ ihn der Mut, weiterzumachen. Ein Kampf gegen Windmühlen. Einen neuen Motivationsschub spürte er erst, als er von einer Freundin in die Gruppe #ichbinhier eingeladen wurde. „Das bekam dann sehr schnell eine eigene Dynamik. Ich rutschte ins Moderationsteam – und auf einmal bekam ich das Gefühl, tatsächlich etwas bewegen zu können.“
Jeder, der lauter als die Trolle sein will, kann bei #ichbinhier Gleichgesinnte finden.
Hannes Ley, 43, ist selbstständiger Kommunikationsberater und hat die Gruppe und den gleichnamigen Verein im Dezember 2016 in Hamburg gegründet. Anfangs waren vor allem Hamburger aktiv, inzwischen kommen die Mitglieder aus ganz Deutschland. Das Moderations-Team der Gruppe, zu dem auch Florian Röder gehört, sucht jeden Tag nach Hassrede, Hetze oder der Verbreitung von Fake-News. Nehmen diese Dinge unter einem Artikel überhand, wird die Gruppe aktiviert, einzugreifen.
„Gemeinsam versuchen wir, mit sachlichen, empathischen und faktenbasierten Kommentaren ein Gegengewicht zu schaffen“, erklärt Florian. Diese „guten“ Kommentare werden durch den Hashtag #ichbinhier am Anfang oder am Ende des Textes markiert.
„Die Mitglieder können sich leicht am Hashtag erkennen und sich so gegenseitig unterstützen. Durch das Liken der Kommentare machen wir uns den Facebook-Algorithmus zunutze, so dass unsere Beiträge automatisch nach oben wandern und die Hasskommentare zurückdrängen. #ichbinhier heißt: Wo ihr seid, sind wir auch. Wir schweigen nicht, sondern widersprechen und hinterfragen. Dies ist nicht euer alleiniger Spielplatz.“
Für dieses Engagement hat #ichbinhier sogar den renommierten „Grimme Online Award 2017“ bekommen.
#heytwitter: Aktionismus gegen Hass
Nicht nur #ichbinhier ist ein Hashtag für mehr Liebe, weniger Hass und eine würdige Diskussionskultur im Netz. Auch #heytwitter ist ein Statement-Hashtag, mit dem auf Hate Speech aufmerksam gemacht wird. Initiiert wurde dieser von dem 29-jährigen Künstler, Autor und Musiker Shahak Shapira. Shahak ist in Israel aufgewachsen und kam mit 14 nach Deutschland. Nach antisemitischen Angriffen auf seinen Bruder und auf ihn selbst schrieb er das autobiografische Buch „Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!“, das zum Bestseller wurde.
Aufsehen erregte Anfang 2017 seine Webseite „Yolocaust“. Dort kombinierte er Selfies, die am Denkmal für die ermordeten Juden Europas entstanden sind, mit Fotomaterial aus NS-Vernichtungslagern und stieß so Diskussionen über die Erinnerungskultur an. Bei der Aktion #heytwitter hatte Shahak innerhalb von sechs Monaten 300 Tweets an Twitter gemeldet. Er bekam nur neun Rückmeldungen, und diese waren negativ. Die Tweets blieben.
Shahak ging in die Offensive und sprühte im August mit Kreidespray über Nacht 30 Tweets auf den Gehweg vor dem Twitter-Bürogebäude in Hamburg am Bahnhof Altona, um dem Konzern direkt vor Augen zu führen, was auf der Plattform passierte. Das sind Tweets wie „Schon wieder ein Haufen Kanacken angekommen. Haben die die Ausfahrt nach Auschwitz verpasst???“ oder „Lass mal wieder zusammen Juden vergasen.. Die Zeiten damals waren schön“. Heftig. Abartig.
Die Aktion #heytwitter wurde zum Zeichen gegen diesen Hass – und auch ihr könnt den Hashtag verwenden und entsprechende Tweets liken. Achtung: Jeder Hashtag kann auch missbraucht werden. Also keine Herzchen verteilen, ohne zu lesen, was drinsteht.
Übrigens: Twitter hat sich bis heute nicht zu der Aktion geäußert.
whicee: Für eine bessere Diskussionskultur
Julian Jirsak, Daniel Doberenz und Karin Jirsak unterstützen Projekte wie #ichbinhier ebenfalls, sind aber noch einen Schritt weitergegangen. Die Hamburger gründeten eine Website, die eine deutschlandweite Plattform für niveauvolle Meinungsäußerung ohne Hass und Hetze ist: whicee.com. „whicee ist ein Kunstwort, das sich aus den englisch ausgesprochenen Buchstaben Y und C zusammensetzt, kurz für: ‚your comment’“, erklärt Karin (34), Mitgründerin und Content Managerin.
Die Idee zu whicee entstand durch das Gefühl, dass es kaum noch Sinn macht, sich wirklich Mühe bei einem Facebook-Kommentar zu geben. „Längere Kommentare gehen in dem Getöse aus Hass und Belanglosigkeit meistens unter“, so Karin. „Das wollten wir anders machen.“
Sie suchten Investoren, starteten die technische Umsetzung und gingen im Juli 2015 online. Karin und die Geschäftsführer haben hauptberuflich andere Jobs, whicee ist für sie vor allem ein Herzensprojekt.
Alle, die endlich mal wieder vernünftig diskutieren wollen, ohne sich dabei beleidigen zu lassen, sind hier richtig. Die Themen sind gut sortiert, von Nerd- über Business-Talk bis zu hochpolitischen, hitzigen Diskussionen ist alles dabei.
Beispiele gefällig? Bitte sehr: User Sven feiert Musik auf Vinyl, Userin Sandra erklärt anhand einer wissenschaftlichen Untersuchung, dass der Bio-Wahn uns nicht gesünder macht, Userin Juliane fragt sich, ob es wirklich notwendig ist, dass Kinderbücher umgeschrieben werden und User Daniel empört sich über eine „Volksumfrage“ der BILD zum Thema Flüchtlinge.
Die Kommentare sind lang, meistens gut begründet und eröffnen persönliche Perspektiven. Die Community-Regeln werden ernst genommen, es gibt keine Hater, keine Beleidigungen. „Bisher müssen wir Moderatoren nicht eingreifen“, erzählt Karin. „Wir beobachten genau, was geschrieben wird, und es funktioniert – ohne persönliche Anfeindungen.“
Es macht Spaß, sich durch die Themen zu klicken, kluge Worte zu lesen und unterschiedliche Ansichten kennenzulernen. Lesen kann man ohne Anmeldung, mitdiskutieren nach einer kurzen Registrierung. Und auch das ein oder andere bekannte Gesicht diskutiert auf whicee mit. „Der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen hat mal einen Comment zum Thema Hate Speech veröffentlicht“, erzählt Karin. „Und auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler kommentiert bei uns.“ Von Konservativen bis zu Anarchisten sind alle dabei. Siehe da: Es geht auch ohne Anfeindungen.
Und jetzt?
#ichbinhier, whicee und #heytwitter zeigen, dass wir alle etwas gegen den Hass tun können. Wer selbst eine Plattform gründen oder eine aufmerksamkeitsstarke Aktion starten will, kann auf amadeu-antonio-stiftung.de und die-offene-gesellschaft.de Unterstützung finden.
Beide rufen auf ihren Seiten dazu auf, Ideen zu entwickeln und einzureichen. Finanzielle Förderung oder zumindest medienwirksame Veröffentlichungen eurer Aktionen sind hier möglich.
Eine gut gepflegte Liste mit weiteren Initiativen und Organisationen, die sich gegen Hate Speech stark machen, findet ihr auf no-hate-speech.de/wissen unter der Frage „Wer ist gegen Hate Speech aktiv?“. Aktionen, Workshops, Theaterstücke und mehr in ganze Deutschland gibt es auf die-offene-gesellschaft.de/events.
Doch auch von zuhause aus kannst du viel bewegen. Melden, diskutieren und ironisieren kannst du nämlich sogar in Jogginghose auf dem Sofa.
1. Melden.
Die einfachste Möglichkeit: Hate Speech Posts als rassistisch, volksverhetzend, und so weiter melden. Unternehmen wie Facebook prüfen diese Meldungen und löschen rechtswidrige Inhalte. Durch das Netzwerkdurchsuchungsgesetz, das im Juni in Deutschland verabschiedet wurde, sind Unternehmen wie Facebook und Twitter sogar dazu verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu löschen oder zu sperren. So können wir alle schneller und effektiver gegen Hass und Hetze angehen, indem wir einfach rechts neben einem Beitrag den Pfeil und „Beitrag melden“ anklicken.
2. Diskutieren.
Wer mehr Zeit und Muße mitbringt, kann sich einmischen. Es tut gut, mal ein paar vernünftige Kommentare zu lesen. #ichbinhier, #heytwitter und whicee machen’s möglich. Und wer grade keine Zeit hat, kann zumindest den vernünftigen Kommentaren einen Daumen hoch geben. Das ist easy peasy nebenbei gemacht und hilft dabei, den Hass nicht gewinnen zu lassen.
3. Ironisieren.
Wer nicht die Nerven für lange, oft aussichtlose Diskussionen hat, kann auch mit einer ganz anderen Strategie antworten. Einige Social Media Seiten großer Medien haben sich bereits dieses Verhalten angeeignet – sie setzen die Trolle mit Humor außer Gefecht. Organisationen wie no-hate-speech.de bieten als „Counter Speech“ humorvolle Memes und GIFs an. Diese könnt ihr euch downloaden und bei Facebook in den Kommentarspalten als Antwort auf Hasskommentare hochladen. Statt lange rumzudiskutieren, nimmt man damit dem Hass den Wind aus den Segeln. Mit Ironie können die Hater nämlich nicht so gut. Und beim Kontern hat man eine Menge Spaß. Inspiration gefällig? Schaut doch mal auf die Facebook-Seite Der „DIE WELT“ Praktikant und auf no-hate speech.de/kontern.
Keine Ausreden!
Also: Nicht kopfschüttelnd Kommentarspalten lesen und schnell den Laptop zuklappen, sondern aufstehen und dagegen angehen. Lasst uns die Trolle mundtot machen. Wir lieben Facebook und Twitter nunmal – deshalb sollten wir die Plattformen nicht dem Hass überlassen. Alle, die sich von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und verdrehten Fakten nicht so schnell beeindrucken lassen, sollten laut werden. Es gibt genug Initiativen und Plattformen, die uns das Engagement einfach machen, sodass keiner mehr eine Ausrede hat. Es ist wie immer im Leben: Wer nichts sagt, ändert auch nichts. Viele Hamburger sind schon am Start. Seid ihr dabei? Lasst uns lauter sein!
Gemeinsam gegen den Hass
(v.l.n.r.): Julian Jirsak (CEO whicee.com), Eva Tippkötter (Content Manager whicee.com), Karin Jirsak (Co-Founder, Content-Manager u. PR whicee.com), Sina Laubenstein und Max Bernhard (No Hate Speech DE) setzen sich für eine offene Diskussionskultur ein, frei von Hass und Hetze.
Text: Anna Brüning
Fotos: privat (1), No Hate Speech (2), Facebook "Die WELT" (1)
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