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News aus Hamburg
SOZIALES ENGAGEMENT

Ich muss nur noch schnell die Welt retten

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Das Ehrenamt ist tot? Von wegen! Doch wir als junge Generation haben heute unsere eigenen Vorstellungen davon, wie wir Gutes tun wollen. Statt zum Beispiel den Vorsitz eines Vereins zu übernehmen, informieren wir uns lieber spontan, wo wir kurzfristig aushelfen können. Und da stehen uns vielfältige Möglichkeiten offen – von Social Media für einen sozialen Verein bis zur Veranstaltungsplanung eines Sommerfests in der naheliegenden Kita.

Der Alltag von Denise Blazek ist arbeitsintensiv. Die 21-Jährige studiert Wirtschaft an der Hamburg School of Business Administration (HSBA) und macht begleitend dazu eine Ausbildung bei der Hamburger Hochbahn. Die 40-Stunden-Wochen sind anstrengend und Denise muss sogar in den Semesterferien arbeiten. Dennoch nimmt sie sich Zeit, um sich nebenbei im Sozialen Komitee ihrer Hochschule zu engagieren, das Spenden für soziale Zwecke sammelt. „Das ist mir einfach wichtig“, sagt Denise. „Wenn man etwas für Andere tut, ohne einen Ausgleich dafür zu bekommen, sorgt das für ein richtig gutes Gefühl.“

Mit dieser Einstellung ist Denise nicht allein. Obwohl wir immer so viel um die Ohren haben, ist laut dem letzten Engagementbericht der Bundesregierung ein Drittel der Hamburger ab 14 Jahren ehrenamtlich aktiv. Diese Studie ist fünf Jahre alt, aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Einiges spricht dafür, dass sich heute sogar noch mehr Menschen einbringen – und zwar gerade die jungen. Seit 2015 etwa stieg das Engagement im Kontext der Flüchtlings- und Integrationshilfe nochmal kräftig an. Aktuell sorgt das Thema Klima- und Umweltschutz dank der Fridays for Future-Bewegung für viel Einsatzbereitschaft.

Dabei zeigt sich, dass wir im Engagement viel Wert auf Spontaneität und Flexibilität legen. Doch wenn wir erst einem Verein beitreten, Mitgliederversammlungen besuchen und womöglich sogar langfristig einen Posten übernehmen müssen, winken viele von uns ab. Außerdem sind wir Studenten an unsere Vorlesungszeiten gebunden. In der Klausurenphase müssen wir büffeln. Und in den Semesterferien ackern wir nebenbei, um unsere Miete bezahlen zu können.

Und dann steht im Bachelor vielleicht noch ein Auslandssemester oder ein Praktikum an. „Das Studium fordert immer mehr Zeit“, sagt Jens Schunk von der ASB-Zeitspender-Agentur in Hamburg, die Menschen hilft, das passende Ehrenamt für sich zu finden. „Und das Leben ist teurer geworden.“

Per Newsletter zum Ehrenamt

Freiwilligenagenturen und Hilfsorganisationen haben diesen Trend im Blick und suchen nach Wegen, wie sie mehr junge Menschen erreichen können. Die ASB-Zeitspender-Agentur Hamburg hat deshalb Ende August einen WhatsApp-Newsletter eingerichtet – für alle, die kurzfristig etwas Gutes tun möchten. „Wer möchte nächsten Samstag ab 10 Uhr gemeinsam mit dem Naturschutz Bund (NABU) das Raakmoor in Langenhorn pflegen?“, heißt es da zum Beispiel. Anmelden könnt ihr euch per Email – wenn ihr gerade Zeit habt und euch für Umweltschutz interessiert. Ansonsten sucht man sich einfach ein anderes Projekt aus.

Der Verein Hanseatic Help bietet spontanen Menschen in der – nach eigenen Angaben – größten Kleiderkammer Europas in Hamburgs Messehallen vielfältige Möglichkeiten, sich ganz einfach und unbürokratisch zu engagieren. An sechs Tagen pro Woche können Interessierte dort einfach vorbeikommen, um zum Beispiel Spenden zu sortieren, sie in den Logistiksystemen zu registrieren oder Bestellungen für Bedürftige zu packen. Beim Alsterhafen kann man mit Geflüchteten ins Gespräch kommen oder ihnen bei den Hausaufgaben helfen. Und selbst Bruno Banani ruft zu so genannten Beach Cleanups auf, bei denen Freiwillige am Hamburger Elbstrand Müll suchen.
 

  • Projekttipp: Wenn aus Fremden Freunde werden



Der Verein Start with a Friend (SWAF) vermittelt Tandempartnerschaften zwischen Hamburgern und Menschen, die neu nach Deutschland gekommen sind.

Als der Politik-Student Ivo Behrens in der Zeitung von den vielen Flüchtlingen las, die in Deutschland ein neues Leben suchten, war ihm klar: Er wollte den Neu-Hamburgern dabei helfen, hier anzukommen. Seine Idee war es, gemeinsam mit Freunden ein Internetportal zu schaffen, auf dem sich Deutsche und Zugewanderte unkompliziert kennenlernen könnten. Doch das Projekt scheiterte an finanziellen Hürden. Dann hörte Ivo zufällig von einer ähnlichen Initiative: Start with a Friend vermittelt Tandempartnerschaften, die aus Fremden Freunde machen sollen. Auch dieses Projekt wurde von ein paar Freunden gegründet – allerdings in Berlin und schon 2014. Heute gibt es SWAF in 22 Städten Deutschlands mit rund 6000 Tandempartnerschaften, unter anderem in Hamburg mit einem Büro in der Sternschanze.

Der 26-jährige Ivo, der an der Uni Hamburg studiert, registrierte sich im November 2018 und bekam bald Kontakt zum 24-jährigen Aras Sulaiman, der 2015 aus Syrien geflohen ist und jetzt eine Ausbildung zum Sozialpädagogischen Assistenten macht. Aras war im Internet auf SWAF gestoßen und hatte zwei Jahre warten müssen, bis man endlich einen Tandempartner für ihn gefunden hatte. Umso mehr freute er sich, als er Ivo zum ersten Mal traf. „Ich bin ein sozialer Mensch. Ich mag es, Leute kennenzulernen, mit ihnen die Freizeit zu genießen, über Politik und die Konflikte der Welt zu quatschen“, erklärt Aras. Seitdem sie sich zum ersten Mal begegneten, treffen sich Ivo und Aras jetzt ungefähr alle zwei Wochen. Was die beiden verbindet, sind ihre Freude am Schachspiel und ihr Interesse an Politik. „Neulich hat Aras mir den Unterschied zwischen den schiitischen und den sunnitischen Muslimen erklärt. Dadurch, dass er selbst Kurde ist, hat er eine ganz andere Perspektive auf die Welt“, erzählt Ivo, der sich als Local auskennt und viele Kontakte hat. So konnte er beispielsweise für Aras‘ Mitbewohner nach einer Rechtsberatung für sozial benachteiligte Menschen suchen, um ihn in einem Konflikt mit seinem Arbeitgeber zu unterstützen. „Ich kann ein bisschen helfen – und trage doch kaum Verantwortung. Wenn ich mich demnächst entschließen sollte, Hamburg zu verlassen, wäre das für Aras keine Katastrophe.“ Einen Menschen treffen, mit ihm sprechen und zuhören – das ist für Ivo die einfachste Art des Ehrenamts.
 

  • Und was machst du? Junge Hamburger berichten, wie sie sich in ihrer Freizeit engagieren.

Janosch Kleinschnittger studiert Jura an der Uni Hamburg. Seit drei Jahren geht der 21-Jährige regelmäßig mit Hunden des Hamburger Tierschutzvereins vor die Tür und führt auch Wesenstests mit Tieren durch. Das heißt: Er begleitet die Hunde und trainiert sie für riskante Situationen, wie das Aufeinandertreffen mit schreienden Babys.„Ich wollte schon immer Zeit mit Hunden verbringen, hatte aber nie ein eigenes Tier. Mein Ehrenamt bietet mir einen Ausgleich vom stressigen Uni-Alltag sowie die Möglichkeit, meinen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen – und dabei noch etwas Gutes zu tun. In Hamburg werden Wesenstests hauptsächlich mit sogenannten Listen-Hunden durchgeführt, die pauschal als gefährlich eingestuft werden – unabhängig davon, ob sie nun tatsächlich auffällig geworden sind oder nicht. Diese Einordnung führt dazu, dass entsprechende Rassen praktisch nur schwer vermittelbar sind und daher sehr lange im Tierheim verweilen müssen.“



Die 30-jährige Maria Julia Reh sitzt in einem Gremium der BürgerStiftung Hamburg, das über die Vergabe von Fördergeldern für soziale Projekte entscheidet. Sie hat Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School studiert und ist jetzt Rechtsreferendarin. „Obwohl in der BürgerStiftung jeder mitmachen kann, sind außer mir vor allem ältere Generationen vertreten, die einen ganz anderen Blick auf bestimmte Themen wie zum Beispiel die Genderdebatte haben. Ich finde es schade, dass Entscheidungen darüber, wie hohe Geldsummen verwendet werden, von einer recht homogenen Gruppe gefällt werden, die die Vielfalt der Bürger Hamburgs nicht repräsentiert. Deshalb nutze ich diese Gelegenheit, mitzureden und mitzubestimmen, damit Projekte unterstützt werden.“



Nina Bastian organisiert für den Verein Über den Tellerrand Kochabende, bei denen sich Menschen unterschiedlichster Kulturen begegnen können. Zuvor hat die 25-Jährige Psychologie an der Freien Universität Berlin studiert. „Jeder von uns kocht fast täglich und hat etwas, was er gut oder nicht so gut zubereiten kann, was er gerne oder nicht so gerne isst. Deshalb finde ich, dass man Menschen durch gemeinsame Kochabende sehr gut zusammenbringen kann. Die Events sind Türöffner, aus denen sehr viel mehr wachsen kann. Es entstehen Freundschaften, Partnerschaften, berufliche Beziehungen oder Menschen verbessern ihre Sprachkenntnisse. Es ist schön, das mitzubekommen und ein Teil von diesem kulturellen Austausch zu sein.“


  • „Junge Menschen wollen spontan helfen!“

Im Freiwilligen Zentrum Hamburg vermittelt Carolin Goydke engagierte Menschen an Einrichtungen, die Hilfe benötigen.

Warum  haben Vereine immer größere Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu finden?
Viele Vereine erwarten, dass die Nachfolger sich genauso benehmen wie ihre Vorgänger. Das ist aber für viele Studenten nicht so attraktiv. Sie wollen nicht mehr per Brief, sondern per Email zu Mitgliederversammlungen einladen. Vielleicht möchten sie auch einen Instagram-Account einrichten, Geld für eine Grafikerin ausgeben oder eine Imagebroschüre drucken lassen. Und ganz bestimmt möchten sie nicht erst ein halbes Jahr warten, bis sie dafür eine Genehmigung von irgendeiner Stelle bekommen.

Sind die jungen Leute also weniger geduldig als früher?
Ja, das merke ich auch in der Freiwilligenagentur. Manchmal kommen junge Menschen zu uns, die sagen: „Ich möchte gerne etwas mit Kindern machen und kann heute Nachmittag anfangen.“ Das hat es früher nicht so viel gegeben. Und auch wenn sie eine EMail schreiben und ein Ehrenamtskoor- der vielleicht selbst Ehrenamtler ist, erst nach zwei Wochen antwortet, ist der Drops für sie gelutscht.

Was raten Sie jungen Menschen, die direkt ins Ehrenamt starten möchten?
Wer direkt einsteigen möchte, kann zum Beispiel auf Facebook nach Gruppen wie „Flüchtlingshilfe“ oder „nebenan.de“ suchen. Da werden immer mal wieder Leute gesucht, die zum Beispiel jemandem bei der Vorbereitung auf eine Prüfung helfen. Wer etwas mehr Zeit hat, kann beispielsweise anbieten, seine Kirchengemeinde auf Instagram zu bringen oder älteren Menschen den Umgang mit dem Smartphone zu zeigen.


Text: Janna Degener-Storr
Fotos: Privat (3), ASB Zeitspende-Agentur Hamburg (1),  Hamburger Tierschutzverein (1), Hegglin (1), 

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