Eine neue WG, ein neues Regal, ein altes Problem: Wer hat schon eine Bohrmaschine? Oder ein anderes Szenario, das übrigens kein Klischee ist, wie wir später noch erfahren werden: Frau will Partymachen, steht vor dem Kleiderschrank und hat wie immer nichts anzuziehen. In beiden Fällen gibt es zwei mögliche Lösungswege: Entweder man gibt Geld für einen Gebrauchsgegenstand aus, den man nur einmal in einer bestimmten Situation nutzt und der danach in der hintersten Schrankecke verschwindet. Oder: Man leiht! Und weil letzteres bei genauerer Betrachtung viel sinnvoller erscheint, ist es kaum verwunderlich, dass die sogenannte „Sharing Economy“ (auch „Share Economy“ oder „Kokonsum“) unaufhaltsam wächst.
„Überflussgesellschaft“ ist das Stichwort, das oft in Gesprächen mit Vertretern der „Sharing Economy“ fällt. „Das Prinzip funktioniert aber nur in Großstädten wie Hamburg, Berlin oder München“, sagt Professor Peter Wippermann. Beim Beispiel Carsharing wird schnell klar, was hiermit gemeint ist: In einer kleineren Stadt gäbe es schlichtweg zu wenige Nutzer, für die Leihautos interessant wären. Das Konzept geht nur auf, wenn genügend Leute mitmachen, so dass immer ausreichend Leihautos in Bewegung sind. „Und das sind meistens junge Leute, oft Studenten, die sozial und finanziell clever sind“, so Wippermann weiter.
Leihen und Leute treffen
„Beim Leihen lernst Du außerdem Leute kennen“, gibt Philipp Gloeckler zu bedenken, der 2012 die App „Why Own It“ ins Leben gerufen und damit großen Erfolg erzielt hat. Phillip ist in Köln geboren und in Belgien aufgewachsen. Er hat an der renommierten European Business School in Oestrich-Winkel in der Nähe von Wiesbaden Wirtschaftsinformatik studiert, bevor er 2009 nach Hamburg zog. Mit einem Internet-Start-Up wollte er hier sein eigenes Ding aufziehen. Die zündende Idee kam ihm schließlich im Urlaub. „Als ich Freunde in Kapstadt besuchte, stellte ich fest, wie oft man sich untereinander etwas leiht“, so der 30-Jährige. Kann ich mal kurz Dein Auto haben? Darf ich mal Dein Surfbrett borgen? Wie praktisch wäre es doch, die Suchenden miteinander zu vernetzen?
Philipp erzählte seinen Freunden von dieser Idee und stieß sofort auf positives Feedback. Zurück in Hamburg stellte ein kleines Team zusammen: „Why Own It“ war geboren. Das Prinzip ist so einfach wie genial: Der Nutzer loggt sich mit seiner E-Mail-Adresse oder seinem Facebook-Profil ein. Will er nun zum Beispiel eine Bohrmaschine leihen, so zeigt die App an, wer im nähren Umkreis eine zu verleihen hat. Eine Übergabe wird vereinbart und die Bohrmaschine wechselt – zwar nur zeitweise, dafür aber kostenlos – den Besitzer. „In den vergangenen Jahren wurde vieles einfach per Mausklick im Internet gekauft. Es scheint jetzt ein Verlangen zu geben, dass alles wieder persönlicher abläuft“, vermutet der Firmengründer. Und was leihen die Leute so? „Von Gitarren über Snowboards, Autos, Akkuschraubern bis hin zu Zeitschriften“, antwortet Philipp. „Die Dauerbrenner sind aber Bücher, Reiseführer und Werkzeuge. Und hin und wieder sogar Hunde!“ Ja, richtig gelesen. Es gibt tatsächlich auch Nutzer, die ihren Vierbeiner zum Gassigehen verleihen. Perfekt für alle, die sich zeitlich oder finanziell keinen eigenen Hund leisten können.
Die Klamotten-Flatrate
Einen ganz ähnlichen Ansatz haben auch Thekla Wilkening und Pola Fendel von der „Kleiderei“. Wann sie das letzte Mal ein Kleidungsstück neu gekauft hat? Über diese Frage muss Pola lange nachdenken. „Ich glaube, das war noch im vergangenen Jahr“, sagt die 24-Jährige schließlich. Aber warum sollte sie auch, schließlich hängen in ihrem Laden auf St. Pauli rund 3.000 hübsche Klamotten.
Das besondere daran: Man kann sie für kein Geld der Welt kaufen – ausleihen dafür aber schon. Für 14 Euro im Monat können sich die Kunden vier Stücke aussuchen und dann so lange behalten, wie sie möchten. Wer neuen „Stoff“ braucht, bringt das Geliehene einfach zurück und sucht in aller Ruhe etwas Neues aus. Angefangen von Schuhen über Kleider, Hosen, Pullis, Shirts, Tops und Blusen bis hin zu Hüten gibt es so ziemlich alles, was man sich nur wünschen kann. Stimmt nicht, eigentlich geht es sogar noch darüber hinaus: „Wir haben mittlerweile 20 Kooperationen mit Jungdesignern, die uns ihre Stücke zur Verfügung stellen. Das sind Prototypen oder Teile aus den letzten Kollektionen“, sagt Pola stolz.
Die Schnapsidee wird zum Geschäftsmodell
Bleibt die Frage: Wie kommt man auf so etwas? „Das war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee“, sagt die Kunst-Studentin und lacht. „Aber eine, die wir dann auch wirklich umgesetzt haben.“ Und das kam so: Thekla Wilkening und Pola Fendel haben sich beim Abi in Köln kennengelernt, wo sie später auch zusammen in einer WG wohnten. Eines Partyabends – und jetzt bestätigen wir nur zu gern das gängige Klischee – standen die beiden Frauen vor dem Kleiderschrank und wussten nicht, was sie anziehen sollten. Es müsste einen Laden geben, in dem man Sachen leihen kann, anstatt sie gleich kaufen zu müssen. Aber warum gibt es das nicht? Diese Frage, die am Anfang so vieler Geschäftsideen steht, bewegte auch die Freundinnen, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Schon zwei Monate später fanden die Mädels einen geeigneten Laden und starteten mit 300 Kleidungsstücken – den Rest der bisherigen Erfolgsgeschichte kennt Ihr ja.
Bald könnten es sogar noch mehr Kunden werden, denn in diesem Monat geht die Kleiderei online. Von nun an kann man sich die Klamotten also auch in aller Ruhe im Netz anschauen und sich bequem nach Hause schicken lassen. In diesem Fall liegt die monatliche Gebühr bei 26 anstatt 14 Euro, beinhaltet aber schon das Hin- und Zurückschicken der Ware. Und wer sich bei der großen Auswahl nicht entscheiden kann, lässt sich einfach überraschen. „Wir suchen dann geeignete Stücke aus, die zum Stil der Kundin passen“, sagt Pola. „In Zeiten, in denen es ständig neue Trends gibt, muss man sich so nicht für eine Sache entscheiden, sondern kann sich selber und die Stile ausprobieren.“
Online reservieren, persönlich abholen
Ausprobieren – das war und ist auch ein treibender Faktor bei der Geschäftsidee von Dirk Feldmann. Auch er ist mit seinem Geschäft „LifeThek“ Teil der Hamburger Leih- und Teil-Szene und beweist Tag für Tag, dass die „Sharing Economy“ wunderbar funktionieren kann. Bei LifeThek findet man alles, was man für ein gutes Wochenende braucht: Skateboards, Bollerwagen, Zelte – aber auch Werkzeuge für die nächste WG-Verschönerung. Mittlerweile gibt es 2000 aktive Kunden bundesweit. Der Großteil stammt aus Hamburg – etwa 20 Prozent der Kunden kommen aus Berlin, wo vor einem Jahr eine zweite Filiale eröffnet hat. Und dann gibt es auch noch ein paar Kunden aus anderen deutschen Städten, die sich die geliehenen Gegenstände einfach bequem über die Homepage aussuchen und sich schicken lassen. „Wir haben eine Kalenderansicht eingerichtet, so kann man sehen, ob etwas verfügbar oder gerade anderweitig verliehen ist“, erklärt Dirk den Ablauf.
Die meisten Leute, vor allem die jungen, kommen aber sowieso lieber persönlich im Laden vorbei. Gut für Dirk, der jeden Tag selbst am Verkaufstresen steht: „Das ist super, so bekomme ich das Feedback direkt mit und ich bin nah am Thema.“ Auf diese Weise kann er auch auf Ideen und Wünsche eingehen. „Mir hat neulich eine Kundin erzählt, dass es Fahrradanhänger für Hunde gibt, um alte oder kranke Tiere zu transportieren. Davon hatte ich vorher nie gehört“, erzählt Dirk, immer noch ein etwas verblüfft. Aber: Solch einen Anhänger gibt es nun auch im Sortiment der Lifethek, und er ist so gut wie immer ausgebucht. Damit schließt sich also der Kreis: Neben den Unternehmern wie Dirk Feldmann oder den Kleiderei-Mädels, denen der Trend „Sharing“ einen sinnstiftenden, neuen Job verschafft hat, profitieren am Ende vor allem die Nutzer. Hat ja auch niemand gesagt, dass das Leben immer teuer sein muss, oder?
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