Der Beginn meines Experiments setzt das Ausmisten meiner Geldb.rse voraus. Das Verabschieden von Klein- und Hartgeld soll die Freiheiten maximieren und Grenzen verschwinden lassen, behaupten Marketingslogans diverser Banken. Digitale Zahlungsmöglichkeiten per App machen das Kleingeld in der Hosentasche überflüssig. Apple Pay zählte Anfang 2019 mehr als 380 Millionen registrierte Nutzer weltweit. Seit Dezember 2018 ist der Dienst auch in Deutschland verfügbar. Google Pay startete bereits im Sommer 2018. Über genaue Zahlen und Eins.tze schweigen sich die Konzerne jedoch bekanntermaßen aus. So schön die große Zahl und die Möglichkeiten auch klingen mögen, so bleibt die Frage, ob der Einzelhandel in Deutschland, genauer in Hamburg, für alle diese Möglichkeiten überhaupt ausgelegt ist? Wird der Alltag dadurch wirklich einfacher für Händler und Käufer? Ist die digitale Abrechnung g.nzlich von Vorteil? Oder geben wir der Datenkrake dadurch sogar nur noch mehr Futter?
Zu Beginn verschafft eine leere Brieftasche mit ausgebeulten Lederf.chern bei mir nur einen traurigen Anblick. Schon an dem Zustand meiner Geldbörse ist zu erkennen, dass ich die Existenz von Bargeld zu schätzen weiß. Einen Notgroschen im Gepäck zu haben, kann nie schaden, denke ich. Diese Tatsache muss ich direkt bei meinem ersten Einkauf erleben. Ich betrete den Supermarkt und sehe meinen Wocheneinkauf gefährdet: Mir fehlen die obligatorischen Münzen für den Einkaufswagen! Wo sich sonst immer eine Möglichkeit ergab, Geld zu wechseln, stehe ich nun vor den Wagen und schaue auf meine Kartensammlung. Zwar mag der Großeinkauf am Ende mit Kartenzahlung kein Problem sein, doch eine Erleichterung spüre ich aktuell nicht: Der Ziehkorb nervt und der Tragekorb wiegt doppelt so schwer wie sonst mein Portemonnaie mit Bargeld.
Mit jedem Cent steigt das Stundenkonto
Abgesehen von der Unbequemlichkeit des Shoppens ist es in sämtlichen Supermärkten kein Problem die Karte zu zücken. Auch Drogerien oder Markenstores sind mit EC-Geräten flächendeckend ausgestattet. Das ist wenig überraschend und sicherlich keine neue Erkenntnis für mich, denn neben der Einfachheit ist die Zahlungsweise auch ein Aspekt der Zeitersparnis für den Einzelhandel. Argin Keshishian und sein Bruder Arameh sind die Gründer und Geschäftsführer des Cafés Public Coffee Roasters, das es zweimal in der Innenstadt und einmal in Winterhude gibt. Sie haben das Konzept in ihren Hamburger Filialen als erstes Unternehmen in Deutschland konsequent umgesetzt:
Hier kann ausschließlich per Karte gezahlt werden! „Uns erspart die Zahlung durch EC-Karten 30 Minuten Zeit pro Tag für jeden Mitarbeiter,“ rechnet Argin vor. „Vor allem Aufgaben wie Geld zählen, händisch ins Kassenbuch eintragen und Gänge zur Bank entfallen. Aus unternehmerischer Sicht ist das für unser Zeitalter sinnlose Arbeit“, erklärt der Hamburger Unternehmer. „Zudem ist Schwarzarbeit bei uns nicht drin. Der Wegfall von Schwarzarbeit wäre für unsere Branche sogar essentiell. Dann würde sich der Markt reinigen, der Ruf der Gastronomie-Branche würde sich verbessern und es würden mehr qualifizierte Menschen als Arbeitnehmer in diesen Markt eintreten. Zum Beispiel können die Cent-Beträge auf der Abrechnung nicht mehr fehlerhaft sein.“ Gut für die Betreiber – und die Angestellten? Trinkgeld gehört damit der Vergangenheit an? Argin verneint: „Die Geste können über das Terminal ihren ‚Tip’ eintragen. Diese Möglichkeit ist im Zahlungsvorgang des Gerätes integriert.“
An der Bar zählt nur Bares
Ein gemeinsamer Abend in der Bar seines Vertrauens ist dagegen so ein Ort, an dem Geld noch seinen ursprünglichen Wert hat. Denn in vielen Eckkneipen oder Bars wird auf den Einsatz von Kartenzahlungen verzichtet. Zu hohe Kosten für Transaktionen, Verwaltungsaufwand und die Vorsicht vor nichtgedeckten Konten sind der Grund, warum Barbesitzer sich noch auf die angeblich einzige, ehrliche Barbezahlung vor Ort berufen. Ein Problem für mich, denn an diesem Abend müssen meine Freunde mir das Bier ausgeben. Auf den weiteren umständlichen Verlauf, dass ich ihnen das ausgelegte Geld überweise, wird dankenswerter Weise verzichtet. Der schnelle Geldversand per PayPal wäre eine Alternative – die ich jedoch nicht habe. Jedes Mal eine App zu bemühen, die als Ersatz in solchen Fällen dient? Von vereinfachten und unkomplizierten Lebensweisen im Alltag bin ich an diesem Abend weit entfernt.
„Kleine Beträge werden in Deutschland gerne bar gezahlt. Ein anderer Grund ist auch das Thema Datenschutz, das heiß diskutiert wird. Bei uns zum Beispiel merke ich, dass einige Kunden Angst haben mit Karte zu zahlen, da ihre Zahlungen dadurch nachvollziehbar werden“, gibt Argin zu bedenken. Ganz nachvollziehbar mag das nicht sein: Unternehmen wie Intercash oder Telecash, die für die Abwicklungen der Zahlungen verantwortlich sind, speichern zahlungsrelevante Daten wie Ort, Zeitpunkt, Betrag, Kontonummer und Terminalnummer. Wer die Käufe tätigt, können die Zahlungsabwickler nicht sehen. Lediglich die Bank kann die Zuordnung zwischen Kontonummer und persönlichen Daten ziehen. Daher Hand aufs Herz: Wer macht sich solche Gedanken beim Onlineshopping? Eine EC-Zahlung ist somit nicht bedenklicher als die letzte Bestellung im Internet.
Zahlungsfreiheit herrscht nur im Ausland
Den Freiheiten der Zahlungsmöglichkeiten stehe ich nach der Hälfte der Woche verhalten gegenüber. Denn wem mitten am Elbstrand einf.llt, dass jetzt der beste Zeitpunkt für ein Eis wäre, wer ein Fischbrötchen nach einer durchzechten Nacht am Hafen essen möchte oder auf dem Wochenmarkt den regionalen Bauer von Nebenan unterstützen will, stößt hier schnell an seine Grenze. Das Ausland ist da einen Schritt weiter. Denke ich an meinen letzten Englandtrip nach Manchester zurück, waren die kleinen Slow Food-Stände auf Märkten und die örtlichen Cupcakes-Bäckereien besser ausgestattet, als manch hippe Bar auf der Schanze. Statt dem stetig wachsenden Angebot an Mobile Payment-Apps wie Apple Pay oder Google Pay auch die entsprechende Anwendung zu ermöglichen, bleiben sogar Kneipen und Restaurants in angesagten Bezirken beim Bargeld. „Sorry, Cash Only“, habe ich schon vor dieser Testwoche des öfteren in Hamburg, Berlin oder München vernommen. Da sich die Gesellschaft in England oder Schweden in eine gänzlich andere Richtung entwickelt, schwingt in dem Verhalten junger Barbetreiber eher Attitüde als Überzeugung mit.
Mit Durchblick nicht verzetteln
Bleiben wir ehrlich: Eine Woche ohne Bargeld zu bestreiten, ist bis zu einem gewissen Grad möglich. Entspannt jedoch nicht. Dagegen spricht auch der gesamte Wust an Belegen und Quittungen, um die Finanzen im Blick zu behalten. Wer sich ganz ohne Kleingeld aus dem Haus traut, wird spätestens beim nächsten Kaugummikauf scheitern oder ist durch den Mindesbetrag gezwungen, sich direkt mit einem Monatsvorrat zu versorgen. Betrachtet man die Tatsache, dass in meiner Woche lediglich EC-Karten und Kreditkarten zum Einsatz kamen, ist die Hoffnung auf eine weiträumige Durchsetzung alternativer, mobiler Zahlungs-App keine Frage des kurzfristigen Durchbruchs.
Statt viel Bargeld trägt man als Nutzer im Zweifel viele Apps mit sich herum, um die jeweils passende Variante parat zu haben. Solange es noch keine allgemeingültige Alternative gibt, die Handymodelle und Banken miteinander großflächig vereint, wird es noch ein langer Weg sein.
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