Die deutschen Großstädte scheinen einen ungeschriebenen Wettbewerb auszutragen. In die Höhe schnellende Mieten für teils fragwürdige Angebote bringen Wohnungssuchende und besonders Studenten zum Semesterbeginn an den Rand des Wahnsinns. Wer sich länger auf den einschlägigen Wohnungsportalen herumtreibt oder in den Tageszeitungen das Angebot gut sondiert, der weiß: Je nach Lage und mit etwas Glück pendelt sich eine klassische, unmöblierte Einzimmerwohnung mit durchschnittlich 28 m2 bei einer Kaltmiete von 300 Euro ein.
Klingt im ersten Moment in Ordnung. Doch Neben-, Umzugs- und Entertainmentkosten lassen den Preis schnell in die Höhe schießen. Sprung zurück ins Jahr 2005: Knapp 19 Quadratmeter und 162 Euro Warmmiete lauteten die damaligen Konditionen meiner ersten Studentenbude in Berlin. Zwar umfasste die bescheidene Größe auch die Küchenzeile und etwas, das man mit viel Fantasie als Bad bezeichnen konnte, aber die Relation zwischen Preis und Leistung stimmte immerhin und lag in meinem Budget.
- Einfach einziehen
Fairerweise muss ich sagen: Vom Komfort war das Studentenwohnheim ungefähr so weit entfernt, wie das Viertel von den hippen Bezirken. Doch die Nachfrage nach Wohnungsplätzen in staatlichen Wohnheimen ist immer noch da. Laut Recherche des Onlinemagazins FINK.Hamburg standen zum Semesterstart 2017 insgesamt 1.134 Studierende auf der Warteliste für einen der begehrten Plätze. Mit der wachsenden Studentenanzahl in Hamburg dürfte die Liste mittlerweile eher länger statt kürzer sein.
Als Alternative bieten sich private Wohnanlagen an, deren Durchschnittsmiete bei 387 Euro im Monat liegt – staatliche Wohnheimen rufen circa 295 Euro auf. Ein Blick auf neue Konzepte und Bauten lohnt sich bei der eher geringen Differenz also in jedem Fall. Vor allem unter dem Trend Micro Living entstehen in Hamburg gerade neue Wohnkomplexe in zentraler Lage. Die sogenannten Mikroapartments sollen das Wohnen für Studenten unkomplizierter machen.
Voll möbliert und mit modernster Ausstattung bieten die Studentenbuden alle Vorzüge unter dem Motto „Einziehen, auspacken, wohlfühlen“. Die alten Möbel aus dem Jugendzimmer mitschleppen? Spar dir die Mühe! Diskussionen um Provisionen und Einzugstermine? Nicht nötig. Neben den einzugsfertigen Apartments vervollständigen in vielen Fällen Communityflächen, ein Concierge und direkt angeschlossene Einkaufsmöglichkeiten den Komforttraum. Wer will bei diesem Angebot schon nach Makeln suchen?
Die Pauschalmiete eines Microapartments im Woodie beginnt bei 519 Euro.
- Luxus für Studenten?
Der im Sommer 2020 eröffnete Wohnkomplex The Fizz, der aktuell an der Stresemannstraße von Projektentwickler und dem späteren Betreiber International Campus entsteht, gibt schon mit seinem Namen die Marschrichtung vor. Was umgangssprachlich übersetzt so viel heißt wie „Schampus“ lässt auf den ersten Blick Studententräume wahr werden: Sogar ein Mini-Kino und ein Fitnessraum sollen in den Planungen vorgesehen sein. Doch beim näheren Betrachten der Argumente von Flexibilität, entfallenden Umzugskosten oder entlastenden Provisionen will der Korken bei uns noch nicht so wirklich knallen.
Denn bei Warmmieten, die bei 700 Euro für ein 22 Quadratmeter Apartment starten, sollte schon ein ordentlicher Finanzpuffer auf dem Girokonto geparkt sein. Nebenkosten sind zwar inklusive, aber der Luxus und die Notwendigkeit eines Mini-Kinos oder Fitnessstudios in zentraler Stadtlage sind für uns fragwürdig. Bei einem normalen Nebenjob als Student wäre das Leben im The Fizz ein zu hoher Kostenfaktor, der das Haushaltsgeld überstrapaziert. Die Planungen gehen damit an der Zielgruppe vorbei und eignen sich höchstens für Studenten, die ein überdurchschnittlich hohes Einkommen aufweisen oder reiche Eltern haben. Dann lieber für einen Zehner im nächsten Fitnessstudio eine Mitgliedschaft abschließen.
- Bewusst und nachhaltig wohnen?
Mit ähnlichen Komponenten bietet das Woodie in Wilhelmsburg seine Mikroapartments an. Allerdings mit einigen Variationen, die den Ansprüchen von Studenten deutlich entgegenkommen. „Wir bieten Mietern das Rundumsorglos-Paket an", erklärt uns Head of Marketing Katja Remus vom YOUNIQTeam, das das Objekt an der Dratelnstraße betreut. „Möblierte Apartments, Gemeinschaftsräume und eine permanent besetzte Anlaufstelle für die Studenten, die sich um die Belange oder Nachfragen kümmert. Unsere beginnende Pauschalmiete von 519 Euro für die kleinsten Objekte von 19 Quadratmetern ist ein kalkulierbarer Faktor, der die Internetnutzung und Nebenkostenverbräuche schon inkludiert.“
Der Komplex in Wilhelmsburg mit 371 Wohnungen ist komplett aus Holz gebaut – die Mieten beginnen ab 519 Euro
Katja Remus, Youniq
Der Name Woodie kommt nicht von ungefähr: Beim Bau wurde vor allem auf Nachhaltigkeit geachtet: Der Komplex mit 371 Wohnungen ist komplett aus Holz gebaut. Das überzeugte auch die Jury des diesjährigen „MIPIM Awards“ – der Oscar der Immobilienbranche. In der Kategorie „Best Residential Development“ setzte sich das Hamburger Studentenwohnheim Woodie gegen Wohnprojekte aus aller Welt durch. Das gute Gewissen zieht praktisch mit ein. „Es gibt kaum noch die Zeit, Annoncen zu studieren oder in Wohnungsbörsen lange zu suchen. Flexibilität wird auch im Wohnen immer relevanter“, so auch Robert Winkel, Leiter der Vermietung.
Robert Winkel, Youniq
- Ungebunden in jeder Situation
Freiheiten und Komfort auf engstem Raum sind auch die Grundbasis der Tiny Houses, die als Erweiterung des Micro Livings immer mehr in den Vordergrund rücken. Die Idee: Ein Mini-Haus im Stil eines Wohnwagens, der unkompliziert von A nach B bewegt werden kann. Die Anschaffungskosten für die mobile Unterkunft pendeln sich zwischen 22.000 Euro und 48.000 Euro ein. Wer nicht weniger als 8 Quadratmeter braucht, kann auch mit 15.000 Euro schon den Ruf der Freiheit sein Eigen nennen. „Was wir heute als Tiny Houses kennen, wird aktuell als großer Hype gehandelt“, sagt Jean-Pierre Jacobi, Gründer von REspaceconcepts, die in der HafenCity mit ihrem PopUp-Campus aus mobilen Einheiten zukünftigen Hausbesitzern das Thema näherbringen.
In den Seminaren zum Thema Micro Living soll jedoch auch der Blick für das Gesamtkonzept geschärft werden. „Für viele soll das Konzept eine langfristige Lösung sein: unabhängig bleiben zu günstigen Preisen. Allerdings sind die kleinen Häuser eher eine Alternative für langfristige Kurzfristigkeit. In Zeiten der flexiblen Mobilität wird die Mikro Wohnform aber auch andere Ideen beeinflussen.“, erklärt Jean-Pierre. REspace-concepts erweitert das Micro Living aktuell auf die Arbeitswelt: „Wir sehen Mikro Büros sowie Micro Co-Working Spaces als wichtigen Aspekt. Dieser Wandel wird vor allem auf dem Land passieren. Dies entspricht dann auch dem wachsenden Wunsch von Großstädtern, beispielsweise aus Hamburg, dem ständigen Stress temporär entfliehen und in ruhiger Umgebung in Micro Offices arbeiten zu können.“
Die Anschaffungskosten der Mini-Häuschen im Stil eines Wohnwagens starten bei 22.000 Euro
- Keine Dauerlösung in Sicht
Auch Sophie Müller, die ihre Tiny Houses an gestresste Großstädter vermietet, sieht die kleinen Wohnräume nicht als Dauerlösung. Für einen Urlaub oder einen Wochenendausflug ist das Wohnen in einem Tiny House ein Erlebnis. Ein Einzug für immer bringt seine Tücken mit sich. „Es ist eine romantisierte Vorstellung mit seinem Häuschen inmitten der Natur zu stehen und zu glauben, alle Verpflichtungen seien aufgehoben", so Sophie. Die logistische Leistung sowie die Frage von Anschlüssen, dauerhafte Stellplatzsuchen oder Abwasser benötigen Zeit. Auch was die Energieeffizienz angeht, ist eine Mietwohnung oder ein Eigenheim auf lange Sicht aktuell deutlich besser aufgestellt. „Natürliche Wetterbedingungen, Wärmedämmung oder einfrierende Rohre im Winter sind ständig präsente Themen, die ein Mini-Haus dieser Art mit sich bringt“, erklärt Sophie.
Wer seinen nächsten Kurztrip jedoch als Selbstversuch gestalten und die Kunst auf kleinem Raum zu leben testen will, sollte ein Tiny House auf Probe mieten, um sich den Auswirkungen und der Bedeutung der Verkleinerung bewusst zu werden. „Es ist ein befreiendes Konzept, das die Problematiken der hohen Mieten in Städten jedoch nicht lösen wird“, ist sich Sophie sicher. Eine wirkliche Lösung vor dem explodierenden Mietmarkt scheint also nach aktuellem Stand noch nicht gefunden. Als Untermieter werden wohl immer Kompromisse mit einziehen: Tiny Houses bringen zwar eine Menge Freiheiten, aber ebenso viel Organisation und hohe Anschaffungskosten mit sich.
Außerdem sind attraktive Stellplätze mitten in der Stadt aktuell nicht vorhanden. Deshalb stellen sie besonders für Studenten derzeit noch keine realistische Alternative dar. Die Mikroapartments scheinen die Bedürfnisse einer stetig flexiblen Generation zu erschwinglichen Preisen am ehesten umzusetzen. Gratis gibt es das Gefühl des Ungebundensein dazu: So schnell wie man einziehen kann, kann man auch wieder ausziehen. Eine Option, die für einige mehr Wert haben könnte als alles andere!
Sophie Müller von tinyescape.de
- Dein Raum – deine Möglichkeit
INSPIRIEREN
Micro Living: Autor und YouTuber Derek Diedricksen aus Connecticut zeigt in seinem Buch 40 innovative Tiny Houses, die das Konzept des platzsparenden Wohnens in Perfektion umsetzen. Für Architekten und Designfreunde geeignet! storey.com
UMSETZEN
Homec: Auf der Messe rund ums Wohnen, Modernisieren und Einrichten werden jährlich neue Wohntrends in Hamburg präsentiert. Über 200 Aussteller und Fachvorträge erwarten euch ab dem 23. Januar 2020.
AUSBLICK
Future of Living: Micro Living ist erst der Anfang! In dem Podcast spricht Architekt und Host Blake Miller aus Kansas über die Entwicklung von Smart Cities und seine Zukunftsvision des Wohnens.
Text: Constantin Jacob
Fotos: Heidenreich (4), Youniq (2), Jacobi (2), privat (1)
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