Wer das Buch nicht gelesen hat, erinnert sich doch zumindest an die Verfilmung des Bestsellers „Crazy“. Es geht um den jungen halbseitig gelähmten Benjamin (gespielt von Robert Stadlober), der immer wieder vom Internat fliegt und zwischen Partys und Liebeskummer verzweifelt nach seinem Platz im Leben sucht. Mit dieser autobiografischen Geschichte gelang dem damals 17-jährigen Benjamin Lebert der Durchbruch. Heute lebt der gebürtige Freiburger in Hamburg und schreibt Geschichten, die vom Stil und von der Handlung her erwachsener und ernsthafter sind als seine literarischen Anfänge.
Ein Gothic-Held auf Sylt
Die Geschichte von „Mitternachtsweg“ beginnt auf einem Sylter Friedhof. Eine unbekannte Frau steht vor einem Grab, das keinen Namen trägt. Was will sie dort? Kannte sie den Verstorbenen? Wer war er? Die neblige und gespenstische Atmosphäre ködert den Leser mit vielen offenen Fragen, die eine Antwort verlangen.
Gleich darauf gibt es einen räumlichen Sprung und wir sitzen in dem kleinen Arbeitszimmer von Maydell, einem Redakteur der „Lübecker Zeitung“. Auf seinem Schreibtisch liegt ein eingesandtes Manuskript des freien Journalisten Johannes Kielland. Fast schon klischeehaft wird der Hamburger als dunkler Gothic-Held beschrieben, der so gar nicht dem entspricht, was sein klangvoller Name vermuten lässt. Doch Kielland ist mehr als ein verschrobener Außenseiter. Mit Scharfsinn und der nötigen Portion Durchhaltevermögen geht er ungeklärten Vorfällen nach. Bis ein Fall sein Leben für immer verändert. Hier steigt die Haupthandlung ein: Das Manuskript auf dem Schreibtisch enthält Kiellands letzte Investigation und wird zum Buch innerhalb des Buches. Der Leser folgt Kielland nach Sylt, wo dieser den Fall um einen angespülten Toten ohne Namen nachgeht, der einen auffälligen schwarzen Handschuh trägt. Der Held recherchiert und veröffentlicht einen Artikel, der ungeahnte Folgen hat. Und dann ist da immer wieder diese Frau, die Kielland nicht aus dem Kopf geht. Sie taucht zufällig auf, verschwindet wieder und scheint nicht mehr als eine flüchtige, gespenstische Illusion zu sein.
Verzweigte Geschichte, simpel erzählt
Wie in den meisten seiner Romane, erzählt Benjamin Lebert auch in „Mitternachtsweg“ von einer Liebe, die kompliziert und für den männlichen Protagonisten zur schmerzhaften Erfahrung wird. Schuld trägt die Frau, die als Femme Fatale ein falsches Spiel spielt und Herzen bricht. Doch nicht nur Kiellands Herz wird hier in Mitleidenschaft gerissen, an verschiedenen Stellen gibt es Zeitsprünge, die uns zu anderen männlichen Figuren führen, deren Schicksale mit Kielland zusammenhängen.
Sprachlich ist „Mitternachtsweg“ eher simpel und nüchtern gehalten. Ohne viel Schnickschnack, dafür mit schönen Bildern, die an die großen Romantiker Brentano oder Eichendorff erinnern. Es verwundert daher nicht, dass Lebert privat gerne Eichendorffs Gedichte liest. Wer den tiefsinnigen Autor einmal live erleben möchte, sollte seine Lesung am 21. Oktober im Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Str. 69a, nicht verpassen.
Fazit: Eine gespenstische Lovestory, die mehr von der Handlung als von sprachlichen Kunststücken lebt. Sehr lesenswert!
Benjamin Lebert: „Mitternachtsweg“
Roman Seit seinem erfolgreichen Romandebüt „Crazy“ sind rund 15 Jahre vergangen. Heute schreibt der gebürtige Freiburger immer noch gerne über hoffnungslose Liebe, so auch in seinem neuesten Roman. Der Anti-Held Johannes Kielland ist ein etwas merkwürdiger Goth aus Hamburg und spürt als investigativer Journalist besonders ominösen Fällen nach. Als er die Geschichte von einem namenlosen Toten, der an einem Sylter Strand angespült wird, recherchiert, erwarten ihn Folgen, die er nicht für möglich gehalten hätte. Mitten im Geschehen: eine Frau, die einem Gespenst gleicht. Eine fantastische, surreale Story, die einen nicht mehr loslässt!
Hardcover, 240 Seiten, 18,00 €, erscheint bei Hoffmann und Campe, W: benjaminlebert.de.
Kanäle