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News aus Hamburg
FAIR FASHION AUS HAMBURG

„Mode und Politik gehören für uns zusammen!“

Kluntje_Foto Lydia Hersberge.jpg

Die Hamburgerinnen Kati, Julia und Lena lernten sich während ihres Modedesignstudiums an der JAK kennen – aber alle drei wollten nie Teil des kommerziellen Fashion-Systems sein. Ihr Label Kluntje setzt deshalb auf Re- und Ecodesign mit klarem Statement: Wir alle tragen im wahrsten Sinne Verantwortung für unsere Umwelt und Mitmenschen.

Ihr habt euch im Modedesign Studium an der JAK kennengelernt. Wann kam der Zeitpunkt, an dem ihr die kommerzielle Modebranche kritisch hinterfragt habt?
Kati: Zur Mitte des Studiums gehörte es zum Kursinhalt, sich einen Einblick in die Modeindustrie zu verschaffen: Wo kommen Textilien eigentlich her, wie und wo werden sie produziert? Wir haben uns Dokus über Baumwollplantagen in Indien angeschaut und waren schockiert. Dort, wo unsere alltägliche Kleidung hergestellt wird, ist sowohl die Rate an Selbstmorden als auch an Krankheiten und Behinderungen am höchsten. Die Menschen vergiften sich unwissend durch das Arbeiten mit Pestiziden oder wissend aus Verzweiflung über schlechte Ernten und Hungerlöhne. Wir waren so getroffen von allem, dass wir sogar überlegten, das Studium zu schmeißen, weil wir nicht Teil dieses Systems sein wollten. Aber wir erkannten, dass unser Uni-Abbruch auch niemandem helfen würde und dass sich nichts ändert, wenn keiner beginnt, Dinge anders zu machen.

Und wie ging es dann konkret mit eurem Label Kluntje los?
Kati: Wir absolvierten daraufhin unsere Uni-Praktika in nachhaltigen Betrieben und upcycelten Stoffe für die Kollektionen, die wir im Studium fertigten. Im vorletzten Semester erarbeiteten wir dann eine Gruppenkollektion, die vollständig geupcycelt war. Das bedeutet, dass wir nur Materialien genutzt haben, die an anderer Stelle übrig blieben oder dass wir alte Sachen zu neuen verarbeiteten. Wir kauften also nichts ein. Die Kollektion war sehr bunt und auffällig – und eben auch sehr umfangreich, weil wir sie zu dritt gemacht haben. Zwei Wochen nach unserem Abschluss wurden wir seitens der Uni gefragt, ob wir Lust hätten, im Mundsburg-Center eine leerstehende Ladenfläche zu bespielen. So wurde alles ganz schnell offiziell: Wir führten für sechs Monate ein Pop-Up Atelier und absolvierten Coachings, um uns wichtige Businessskills anzueignen. Wir wollten nachhaltige Mode herstellen, die nicht zu ökomäßig aussieht. Es gab natürlich bis dato schon einige Biomode- und Upcyclinglabels – aber nur wenige, die uns aus modischer Sicht sehr gut gefielen. Wir vernetzten uns mit Mitstreitern aus Hamburgs nachhaltiger Szene und lernten so zum Beispiel Lotte von Bridge and Tunnel kennen, die uns ihren benachbarten Atelierplatz im Stoffdeck in Wilhelmsburg anbot. Seit August 2016 arbeiten wir nun dort. Durch einen erfolgreichen Crowdfunding-Contest im Sommer letzten Jahres konnten wir unsere Produktion in eine kleine Stätte nach Berlin outsourcen.


Anti-Waste-Top Air und Corduroy Trousers

Für eure Kollektionen setzt ihr weiterhin auf Redesign und Upcycling. Könnt ihr den Produktionsprozess dahinter erklären?
Lena: Kluntje besteht aus zwei Kollektionen: Re-Fashion und Eco-Fashion. Unser Herzstück ist Re-Fashion. Es geht um das Weiterverarbeiten von Reststoffen und das Wiederverarbeiten von alten Schätzen mit hoher Qualität. Aus alt und ausrangiert mach neu und cool. Wir nehmen meist robuste Textilien wie etwa Leder, Wolle oder Denim für Jacken, Mäntel und Taschen – oder edle Stoffe, wie Seide oder Samt für andere Teile, wie vorzugsweise Patchpullover oder Blousons. Wir suchen die Materialien auf Flohmärkten oder im Secondhand-Laden und bekommen vieles geschenkt. Bei der Produktion versuchen wir Überproduktion und Abfall möglichst zu vermeiden und verarbeiten beispielsweise Stoffreste in unseren Patchworkteilen weiter. Wir nehmen also bestehende Materialien und drücken sie sanft durch die Kluntjeschnittform, sodass immer ein Unikat herauskommt. Jedes unserer Re-Fashion Kleidungsstücke ist von uns selbst in Hamburg genäht und das soll auch so bleiben. So kamen wir übrigens auch zu unserem Namen! Kluntje heißt der grobe Zuckerkandis, den man traditionell im Ostfriesentee trinkt. Bei diesen Zuckerwürfeln ist es wie mit unserer Upcycling Mode: Die Hauptform ist weitestgehend gleich, jeder Kandis ist ein Würfel. Allerdings ist kein Würfel wie der andere, jeder hat seine ganz eigene individuelle Zuckerkristallform, ist also ein Unikat.

Und wie entsteht eure Eco-Kollektion imVergleich dazu?
Lena: Einige Menschen, die sich gerne nachhaltig kleiden möchten, können sich so ein Einzelstück vielleicht nicht leisten. Die Teile der Eco-Kollektion sind günstiger. Sie bestehen aus Biobaumwolle aus der Türkei, die wir als Meterware bei dem Fair-Trade-Onlineshop Lebenskleidung bestellen. Sie ist mit einem GOTS-Zertifikat versehen, das für Global Organic Textile Standard steht und als weltweit führender Standard der Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern anerkannt ist.

Re-Fashion Zweiteiler

Wie würdet ihr generell den Stil eurer Kollektionen beschreiben?
Julia: Lässig und gleichzeitig elegant! Eine unserer Ideen war es zum Beispiel auch, eine Jogginghose zu designen, mit der man in die Oper gehen kann. Insgesamt sind die meisten Teile sportlich geschnitten. Wie unsere weiten, gemütlichen Pullover und Jogger aus Nickistoff, die einen edlen Glanz hanem. Die Schnitte sind zeitlos und clean, unser Stil ist skandinavisch angehaucht, sehr nordisch. Wir machen Basic-Lieblingsstücke, die aber immer etwas ganz Besonderes haben – sei es Farbe, Form oder Material. Teile, die man gern anzieht, nichts zum Reinquetschen. Sie eignen sich für alle, die gerne modebewusst, aber nicht zu flippig aussehen wollen.

Eines eurer Shirts trägt die Statement-Aufschrift „Fashion as a political choice“. Wie ist das genau gemeint?
Kati: Mode und Politik gehören unserer Meinung nach zusammen. Mode bedeutet Konsum und Konsum bedeutet Produktion und Produktion bedeutet leider meist sehr weit weg – und das wiederum bedeutet, dass wir als Konsumenten darüber nicht viel wissen. Was man nicht sieht, kann man sich schwer vorstellen oder man vergisst es sofort und hinterfragt es erst recht nicht. So verschließen wir unsere Augen aber vor geringen Standards und unvorstellbar miesen Arbeitsbedingungen. Dabei sitzen wir hier in Deutschland am Ende der Herstellungskette auf unserem Thron der Privilegien. Es herrscht immer noch eine Art Neokolonialismus: Wir haben das Geld und die Technik, das Know-How und die Macht, um andere Menschen den unangenehmen Teil der Arbeit machen zu lassen. Es ist eine politische Entscheidung, dieses System weiterhin zu unterstützen. Oder man blickt den Tatsachen mal tief in die Augen und stellt fest, dass wir großes Glück haben, so privilegiert zu sein und frei entscheiden zu können, was wir kaufen. Und wenn ab sofort nur einige Menschen darauf achten würden, wo und was sie kaufen, wäre das ja schon der erste Schritt, der auch anderen die Augen öffnen würde. Und das Resultat wäre riesig: Weniger Ausnutzung von potentiellen Landwirtschaftsfeldern durch Baumwollmonokulturen, weniger Wasserverschmutzung, weniger Pestizide an unserem Körper – aber auch in den Lungen und auf der Haut all derer, die die Baumwolle für uns anbauen, verarbeiten und färben.

Nicki-Unisex-Pullover und Nicki-Jogger Mico

Welche Probleme begegnen euch bei der Produktion von nachhaltiger Mode?
Lena: Bei der Recherche nach Stoffproduzenten fängt es an. Es gibt in dieser Branche natürlich weitaus weniger davon und die muss man erstmal finden – und dann ist oftmals die Auswahl auch nicht so groß. Auch ist es problematisch, wenn man ohne Plastik produzieren möchte und damit auf Elasthananteile verzichten muss. Dadurch sind die Stoffe oft nicht dehnbar, weshalb man die Schnitte dann manchmal nachträglich ändern und an das optisch beste Material anpassen muss. Außerdem kann man immer nur größere Mengen abnehmen, wenn man einen Stoff extra herstellen lassen möchte. Nachhaltigkeit bedeutet für uns allerdings auch, ressourcenschonend zu arbeiten und Überproduktion auszuschließen. Deshalb muss man viel hin und her überlegen.

Nachhaltiger Mode wird ja oft nachgesagt, dass sie sehr teuer ist im Vergleich zu „normalen“ Labeln. Stimmt das? Und warum ist das so – oder warum muss auch so sein?
Julia: Unsere Mode hat einen Preis, der eigentlich normal sein sollte für Kleidung. Das versuchen wir auch den Kunden immer wieder verständlich zu machen mit Aktionen, wie Podiumsdiskussionen oder Ähnlichem. Viele vergessen nämlich immer noch, dass kein Kleidungsstück von selbst aus einer Maschine kommt, sondern immer von einem Menschen genäht wird. Und dieser sollte so bezahlt werden, dass er gut davon leben kann. Und wenn ein T-Shirt nur 10 Euro kostet, dann kann man sich vorstellen, wie viel daran der Näher oder die Näherin verdient hat – und auch, wie lange das Teil wohl halten wird. Auch diesen Wert von Qualität thematisieren wir immer wieder. Außerdem sind nachhaltig produzierte Stoffe natürlich teurer, als herkömmlich hergestellte. Diese werden ja biologisch angebaut und fair gehandelt – und müssen deshalb mehr kosten. Wir lassen unsere Kollektion in Berlin produzieren, wo alle Näherinnen auch fair bezahlt werden. Unser T-Shirt kostet 45 Euro. Wer bereit ist, dieses Geld auszugeben, wird schnell feststellen, wie toll es sich auf der Haut anfühlt und wie länge es hält. Würde man stattdessen drei Shirts von dumpingpreisigen Anbietern kaufen, könnte man die nach fünf Mal tragen und ein Mal waschen wegschmeißen. Dass genau das jeder versteht, ist uns wichtig.

Nicki-Shirt Merlina

Aber für wie realistisch haltet ihr es, dass in näherer Zukunft mehr Label nachhaltiger produzieren und die Wichtigkeit von Slow-Fashion in den Köpfen ankommt?
Julia: Wir halten das für sehr realistisch! Die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten steigt immer mehr und das in allen Bereichen. Sei es beim Kauf von Nahrungsmitteln oder Möbeln, Kleidung oder Accessoires. Das Thema ist zum Glück gerade sehr präsent. Zum Beispiel gab es dieses Jahr zum ersten Mal einen „Slow-Fashion Move“ in Berlin, der unglaublich viel Zulauf bekommen hat. Organisationen wie Greenpeace oder die Clean Clothes Campaign, aber auch viele nachhaltige Label haben coole Arbeit geleistet. Und auch immer mehr Blogger fühlen sich verpflichtet, über Slow-Fashion zu schreiben. Natürlich wird es noch dauern, bis alle informiert und überzeugt sind. Aber durch die mediale Berichterstattung, Social Media und Co. können zumindest auch nicht mehr viele Menschen behaupten, von nichts zu wissen und legen die Scheuklappen ab. Und das ist ja der erste Schritt!

Wie bewertet ihr die Slow-Fashion-Szene in Hamburg – auch im Vergleich zu Berlin oder anderen Metropolen?
Lena: In Hamburg könnte es in der Hinsicht schon noch ein bisschen mehr geben, finden wir. Berlin hat da eine größere Vielfalt – aber Berlin ist eben eine Hauptstadt. Wir haben auch festgestellt, dass die Slow-Fashion-Szene im Süden schon etwas größer ist. Wir bekommen sehr viele Bestellungen aus der Nähe von München und Stuttgart. Da ist man uns Nordlichtern hier oben wohl schon ein bisschen voraus. Wir glauben, dass man die Leute in Hamburg erst mit dem Design catchen muss – dann reagieren sie auch auf die Nachhaltigkeit.

Shirt Ottline „Fashion Is A Political Choice“

Wie sehen die Zukunftspläne für Kluntje aus?
Lena: Unser Ziel ist es, langsam den Fuß über die Schwelle Hamburgs zu setzen und uns auch einen Namen in anderen großen Städten zu machen, wie Berlin, Köln oder München. Und nächstes Jahr wollen wir uns auch die Märkte in anderen Ländern mal genauer anschauen, wie etwa in Kopenhagen oder Wien. Wir haben Lust darauf zu sehen, wie sehr Nachhaltigkeit in Sachen Mode bereits an anderen Orten gefragt ist. Und wir würden super gerne bald eine kleine Schmuckkollektion rausbringen!

Welche (politische) Message würdet ihr unseren Lesern und allen Fashion-Kosumenten da draußen gerne noch mitgeben?
Kati: Unser Lieblingsstatement ist schon eine ganze Weile unser T-Shirt-Slogan: Fashion as a political choice. Jeder sollte für sich beginnen, darüber nachzudenken, wo wir hinkommen, wenn wir so weitermachen wie bisher und was man anders machen könnte. Und dann damit anfangen. Step by Step, Kleinigkeiten reichen schon. Wir tragen Verantwortung und wir müssen uns entscheiden, was wir damit machen. Deshalb: Interessiert euch, schaut nicht weg und ändert etwas!

Bei den drei Kluntje-Mädels Kati, Lena und Julia (v.l.n.r) ist Arbeitsteilung angesagt: Kati ist verantwortlich für den Marketing-Content, plant Kampagnen und macht die Öffentlichkeitsarbeit. Lena ist hauptverantwortlich für das Design der Kollektion. Sie näht alle Prototypen und experimentiert im Atelier. Julia plant und organisiert alles, ist für die Website und das Layout zuständig. Dazu ist sie die Netzwerkexpertin im Team. 

 

  • Empfohlene Shopping-Locations in Hamburg von Kluntje und Tipps zum Thema Nachhaltigkeit


Captain Svenson Bartelsstr. 2 (Sternschanze): Schicker Conceptstore, der im Mai 2018 eröffnet hat und ausschließlich nachhaltig produzierte Produkte für Frauen verkauft. Hier findet ihr übrigens auch die aktuelle Kluntje-Kollektion!

Quiddje Veringstr. 65 (Wilhelmsburg): Kleiner Laden im Lieblingsstadtteil der drei Mädels, wo nur Produkte „made in HH“ verkauft werden. Unter anderem auch Kleidungsstücke von Kluntje.

Avocadostore Der Webshop ist eine der aktuell größten Plattformen für nachhaltige Designs und Produkte und lohnt sich immer, um neue Marken kennen zu lernen. Hier könnt ihr Kluntje-Teile online einkaufen.

Bridge and Tunnel Mit diesem Hamburger Label, das schöne Accessoires, Taschen, Möbel und Kleidungsstücke aus Jeans herstellt, teilt sich Kluntje das Atelier.

Die Konsumentin Die zwei Bloggerinnen aus Hamburg schreiben über Aktuelles in Sachen nachhaltige Mode – ihr könnt euch hier darüber hinaus aber auch generell in die Fair-Fashion-Szene einlesen.

Viertel/Vor Das Online-Magazin wird von Journalistin Anna Schunk und Regisseur Marcus Werner aus Berlin rausgebracht. Hier geht es nicht nur um Mode, sondern generell um die Themen Innovation und Langlebigkeit in Hinsicht auf die Umwelt. Anna und Marcus stellen alles von spannenden Marken bis zu besonderen Orten oder Locations vor.

 

Text: Lesley-Ann Jahn
Fotos: Hersberger/Fashion Changers (2), Hoelleger/Kluntje (5) 

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