uniscene

News aus Hamburg
HALTUNG STATT SIXPACK

Rettet euren Rücken!

AP022.jpg

Schule, Studium, cooler Job: Wir sind jung, gebildet und dürfen uns quasi rund um die Uhr verwirklichen. Leider tun wir das meist im sitzen. Und selbst wenn wir nach langen Vorlesungstagen noch Zeit für Sport finden, arbeiten wir lieber schnell an unseren Abs oder dem Bizeps und vergessen, wer im Alltag am meisten leidet – unser Rücken. UNISCENE-Autorin Natalia hat sich bei Hamburger Bewegungstherapeuten und Personaltrainerin auf die Suche nach Lösungen gemacht. Die Experten erklären uns, welche Fehler wir vermutlich fast alle beim Sport machen – und warum es Zeit ist, wieder richtig auf unseren Körper zu achten.

Nächste Stufe... noch eine... Ich erleide beinahe einen Herzinfarkt, als ich an dem gefühlt heißesten Sommertag des Jahres ächzend die Büro-Treppe erklimme. Eine pflichtschuldige On-Off-Beziehung – so könnte man mein Verhältnis zum Sport beschreiben. Meist betrüge ich ihn mit der Couch, dann entfremden wir uns für eine Weile, bis ich angekrochen komme und ihm aufs Neue die ewige Treue schwöre. Gerade läuft es eigentlich gut mit uns: Ich gehe einmal die Woche zum Yoga oder Pilates, einmal die Woche Salsa tanzen und nun quäle ich mich morgens die wirklich steile Treppe hoch. Aber ich glaube, das reicht nicht.

Trotz der für mich schieren Unmenge an Sport habe ich oft Rückenschmerzen, kann keine zehn Minuten joggen, auch meine Knie melden sich immer öfter beim Tanzen. Kurz gesagt, es steht nicht gut um meinen Körper. Seien wir ehrlich, die letzten 29 Jahre habe ich überwiegend im Sitzen verbracht. Ich könnte es natürlich als bewusste Lifestyle-Entscheidung oder gar eine subversive Maßnahme gegen gesellschaftlichen Optimierungswahn deklarieren, doch mein innerer Hypochonder lässt es nicht zu: Bei jeder neuen Studie mit der Schlagzeile „Sitzen ist das neue Rauchen“ zuckt er zusammen. Gerade regnet es solche Studien.


Unsere Autorin Natalia hat sich zum Ziel gesetzt, jeden Tag die Treppen zur Arbeit zu erklimmen.

Pauschal gesagt, erzählen sie alle dasselbe: Übermäßiges Sitzen macht fett, dumm, träge und fördert auch noch Krebs, Diabetes und Darmprobleme. Vor allem aber macht es den Rücken kaputt. Mit meinen Rückenschmerzen bin ich längst nicht allein. Während früher meist nur unsere Eltern und Großeltern darüber klagten, stimmen nun auch wir immer häufiger mit ein. Laut einer Umfrage der Weltgesundheitsorganisation haben 24 Prozent der 11- bis 17-jährigen Mädchen und 19 Prozent der Jungen wöchentlich Rückenschmerzen. Die Ursachen: Bewegungsmangel, Überlastung und Stress.

Theoretisch wäre Sport das beste Gegenmittel. Als ich mich noch fünf Mal im Jahr ins Fitnessstudio schleppte, stellte ich allerdings fest, dass viele Fitnessfans eher Zeit mit ihrem Bizeps und ihrem Sixpack verbringen – so richtig rückenfreundlich sah das alles nicht aus. Aber wer im Glashaus sitzt, sollte die Klappe halten – ich übte vor allem das Wegbleiben, was ich nun täglich merke. Jetzt will der Hypochonder in mir wissen: Wie schlimm ist das Sitzen tatsächlich? Können wir den Schaden fü unseren Körper wieder ausgleichen?

Zehntausend Schritte am Tag
Das frage ich den Sportwissenschaftler und DFB-Trainer Dr. Pedro González, der den FC St. Pauli, die Hamburg Freezers und Spieler wie Mats Hummels trainiert hat. González ist ein vielbeschäftigter Mann: Er ist Triathlet und Marathonläufer, ein bis zwei Wettkämpfe absolviert er pro Monat. Dafür trainiert der 48-Jährige rund 10 Stunden die Woche. Für normale Menschen hat er Gott sei Dank deutlich bescheidenere Empfehlungen: anderthalb Stunden Bewegung an der frischen Luft, sei es beim Fahrradfahren oder beim Hund ausführen.

„Pauschal gesagt reichen acht bis zehn Kilometer oder ungefähr 10.000 Schritte am Tag, damit wir nicht bereits mit 60 sterben“, sagt er. Im Durchschnitt legen wir täglich nicht einmal einen Kilometer zurück. Dabei verkümmern unsere Muskeln, die auf ständige Bewegung angewiesen sind. Denn wir zivilisierte Menschen haben uns immer neue Arten einfallen lassen, Bewegung zu vermeiden: Autos, Fahrstühle, Fernsehsessel, den Achtstundentag im Büro. Kein Wunder, dass manche von uns bei einer dreistöckigen Treppe krächzen.


Sportwissenschaftler und DFB-Trainer Dr. Pedro González rät zu einer Mischung aus Cardio-, Kraft-, und Beweglichkeitstraining.

Damit wir nicht mit 35 einen Bandscheibenvorfall bekommen, rät González zum regelmäßigen und vor allem abwechslungsreichen Training: „Idealerweise tut man neben Cardio- und Krafttraining auch etwas für die Beweglichkeit.“ Nur Krafttraining oder nur Joggen reicht nicht. Eigentlich müsste ich also mit der Mischung aus Sport, Pilates, gemächlichen Alster-Spaziergängen und morgendlichem Treppensteigen fast alles richtig machen. Doch mein Rücken sagt das Gegenteil. Habe ich vielleicht schon so viel falsch gemacht, dass ich ganz andere Rettungsmaßnahmen brauche?

Der vernachlässigte Hintern
Um mehr zu erfahren, schwinge ich mich aufs Stadtrad und fahre zu Arlow Pieniak, der in seinem „Work It Training“-Studio im Eppendorfer Hinterhof eine Bestandsaufnahme von meinem Elend machen darf. Der Bewegungstherapeut und Personaltrainer hat sich darauf spezialisiert, Fehlhaltungen zu korrigieren, er nennt es die Defizitmethode. Schon als Kind hatte er eine Art körperliche Empathie – immerzu stellte er sich vor, wie sich die Haltungen anderer Menschen anfühlen und machte sie nach. „Das ist immer noch ein Spleen von mir, das kann ich nicht abstellen.“ Dieser Spleen brachte ihn zu seinem Traumjob: Menschen von Rückenschmerzen zu befreien.

Wie ein Baywatch-Charakter steht Pieniak nun blauäugig, durchtrainiert und kerzengerade vor mir und bittet mich, den Arm zu heben. Dann den anderen. Im lichtdurchfluteten Trainingsraum mache ich Kniebeugen, Ausfallschritte, werde auf der Matte liegend abgetastet. Pieniak fragt mich über meinen Lebensstil, meine Leiden und Sportvorlieben aus. „Meine Vermutung hat sich bestätigt. Du bist hypermobil“, verkündet er am Ende. In seiner eigens entwickelten Typologie heißt mein Körpertyp „Marilyn“.

Klingt sexy, ist aber keine tolle Nachricht: Durch meine Überbeweglichkeit fehlen mir Stabilität und Kraft. Mein Becken ist nach hinten gekippt, mein Bauch dafür zu weit vorne, sodass er dicker aussieht, als er tatsächlich ist – das, immerhin, freut mich... Einige Muskeln sind zu schwach, andere dafür überlastet. „Wie die meisten Menschen, benutzt du deinen Hintern nicht mehr“, sagt Pieniak. In den nächsten Tagen achte ich auf meine Schritte und muss ihm Recht geben. Mein Po hält sich höflich zurück, während der vordere Oberschenkel die ganze Arbeit übernimmt.


Arlow Pieniak, Bewegungstherapeut und Personaltrainer, ist darauf spezialisiert, Fehlhaltungen zu korrigieren.

Warum befindet sich mein Körper in einem solch skandalösen Zustand? Natürlich ist auch hier das Sitzen schuld. Auch Pilates scheint meine Muskeln nicht besonders stark gemacht zu haben. Den Personaltrainer wundert das nicht. Wenn wir bereits eine Fehlhaltung haben, führen wir die Bewegungen nicht mehr richtig aus. „Die schwachen Muskeln bleiben unbeteiligt und werden gar nicht mittrainiert“, sagt er. Zudem suchen wir uns eher Sportarten, in denen wir gut sind und unsere Stärken ausspielen können, statt unsere Schwächen zu trainieren.

Ich bräuchte also eigentlich ordentliches Krafttraining zum Ausgleich. Ich bin fasziniert von diesem neuen Wissen. Pieniak zeigt mir die richtige Haltung: „Füße parallel. Becken aufrichten, noch mehr. Bauchnabel einziehen. Mehr. Die Brust ausstrecken, die Schultern  entspannt lassen.“ Von wegen, entspannt. In dieser Haltung fühle ich mich wie ein Roboter, und genauso bewege ich mich auch. „Für die korrekte Haltung fehlt dir die Kraft im Rumpf und die Mobilität an den richtigen Stellen.“ Ich müsste also die Muskeln benutzen, die seit Jahren im Winterschlaf sind. Kein leichtes Unterfangen. Nun überlege ich, meine nächsten Artikel-Honorare in das Personaltraining im „Work It“-Studio zu investieren. Alleine kriege ich es sicher nicht hin, meine über Jahre trainierte Fehlhaltung zu lösen.

Unachtsamkeit macht Probleme
Genau aus diesem Grund hat die Personaltrainerin und Kickboxerin Aline Sodjinou einen eigenen Personaltrainer. „Es ist wichtig, jemanden zu haben, der einen beobachtet und korrigiert“, sagt die 29-Jährige. Auf sich allein gestellt, verfallen die meisten von uns in eine falsche Haltung. Seit einem Jahr führt die Schwarzgurt-Trägerin ein eigenes Studio im Grindelviertel, in dem sie Frauen trainiert. Die meisten haben Rückenschmerzen oder Beschwerden im Schultern- und Nackenbereich. Für Aline, die in ihrer Jugend viele Sportarten ausprobiert hat, ist das Kickboxen optimal: „Es ist ein Ganzkörperworkout, bei dem man auch Koordination trainiert, ins Schwitzen kommt und abschalten kann.“

Viele haben Angst vor Verletzungen, das sei aber unbegründet: Im Training schlägt man nicht auf andere Menschen, sondern auf ein Kissen ein – oder trainiert die Bewegungen vor dem Spiegel. Neben gesundheitlichen Aspekten hat Kampfsport laut Aline einen schönen Nebeneffekt: „Neues Selbstbewusstsein! Auf einmal kannst du ja voll zuschlagen.“ Überhaupt ist Bewusstsein ein Schlüsselwort für die Trainerin: „Die meisten Beschwerden kommen von Unachtsamkeit. Unbewusst stehen wir auf einem Bein, haben dadurch ein schiefes Becken oder sacken in uns zusammen – und merken das gar nicht.“ Auf den eigenen Körper zu hören ist also der Schlüssel, denke ich, spanne meinen Hintern an und hoffe, dass er aufwacht. Damit wir zusammen meinen Rücken retten können.


Kickboxen stellt für Personaltrainerin Aline Sodjinou das optimale Workout dar: Es trainiert den Körper und das Selbstbewusstsein.

Keine Lust auf 0815-Muckibude? Unsere Tipps für mehr Bewegung:
1. Fandet ihr Breakdancer früher auch so cool? Nun könnt ihr selbst ohne viel Aufwand einer werden: Das Trendworkout BREAKLETICS kombiniert Fitness mit Breakdance und ist ein effektives Training für die Muskeln, das garantiert ins Schwitzen bringt sowie zugleich sehr viel Spaß bringt. Die Kurse gibt es im Wandsbeker On Stage Zentrum in der Conventstraße 80 (Wandsbek) am Mittwoch um 18.30 Uhr – und in der Kaifu Lodge in der Bundesstraße 107 (Eimsbüttel) am Sonntag um 17 Uhr. 

2. An der frischen Luft bewegen hält fit, trainiert das Herz und ist eine schöne Abwechslung zum stundenlangen Sitzen. Wer ein bisschen mehr sucht, als die meist flachen Hamburger Gefilde, sollte einen Abstecher in die Harburger Berge wagen – die Beine werden es euch danken! Anfahrt: mit S3 oder S31 bis Neuwiedenthal.

3. Um die Alster zu laufen ist vorbildlich, nervt aber oft mit dem ganzen Verkehr, den rasenden Fahrradfahrern oder anderen Joggern, die keinen Platz machen. Wie wäre es mit einem Ortswechsel?! Der Wald im Niendorfer Gehege ist perfekt für lange Strecken in aller Seelenruhe. Ihr könnt ein bisschen Natur tanken, Vögeln beim Zwitschern zuhören und ein paar Rehe verschrecken – wunderschön. Anfahrt: mit der U2 bis Niendorfer Markt. 

4. Haltungsprobleme? Rückenschmerzen? Im kostenlosen Probetraining bei Work it Training werdet ihr über die Gründe eurer Fehlhaltungen sowie Schmerzen aufgeklärt und erfahrt, ob ihr eine Marylin, ein Hanseat oder ein Cowboy seid. Auch im Rückenzentrum am Michel könnt ihr euren Rücken untersuchen lassen und mit einem Physiotherapeuten dagegen trainieren. 

5. Vom Stretching über Cardiotraining bis Kickboxen – bei Unique Physique im Grindelviertel trainiert Aline Sodjinou in Kursen, Einzelstunden oder kleinen Gruppen. Das Studio ist nur für Frauen – auch ein Training zusammen mit der besten Freundin ist möglich. 

Text: Natalia Sadovnik
Fotos: Bild, Cassius Prudent, privat, Pieniak (2)

Nach
oben
×
×
Bitte richten Sie ihr Tablet im Querformat aus.