Hamburg und seine Clubs verbindet eine lange Liebesgeschichte. Bereits 1960 starteten die Beatles auf der Bühne im Indra auf der Großen Freiheit ihre Weltkarriere. Seitdem haben zahlreiche Künstler in den Star-Clubs der Stadt es ihnen gleichgetan und das Fundament für ihren Durchbruch gelegt. Die Geburtsstunde ihrer Karriere eingeläutet. Auch Jimi Hendrix, Chuck Berry und Jerry Lee Lewis standen einst auf den Bühnen der Stadt und begeisterten ihr Publikum. Und auch heute – beinahe 60 Jahre später – bietet Hamburg nach wie vor eine Clubvielfalt, mit der kaum eine Stadt in Deutschland mithalten kann.
Und trotzdem sind unsere Clubs seit einiger Zeit bedroht. Innerhalb der letzten zwei Jahre mussten acht Locations in Hamburg die Tore schließen. Einige Clubbesitzer wie Julia Staron, Mitbetreiberin des kukuuns, und Christian Engel vom Halo sprechen von einem „Clubsterben" – dem Untergang einer musikalisch-vielfältigen Kultur in Hamburg. Fest steht, in den vergangenen Monaten mussten wir bereits einige Namen von unserer Wochenendliste streichen.
Neben dem Golem und dem Kleinen Donner steht aktuell das Moloch auf der schwarzen Liste. Eine Lärmschutzklage gepaart mit dem fehlenden Geld für notwendige Baumaßnahmen sollen der Grund für den Untergang des beliebten Clubs sein, wie das Team selbst auf seiner Facebook-Seite schreibt. Im Moment ist unklar, wie lange es den Club im Oberhafen noch geben wird. War es das also bald mit den pulsierenden Bässen, die uns durch das Wochenende begleiten, den verrauchten Ecken, in denen wir mit unseren Freunden schon die eine oder andere Party-Nacht erlebt haben?
Die Probleme einer Szene
„Der aktuelle Trend zu einer Wohnung mitten in der Stadt führt für viele Clubs zu neuen Problemen in Sachen Grundstücksfindung und Lärmschutz“, so Julia Staron, Betreiberin des kukuun am Spielbudenplatz. Während die Clubs früher viele freie zentrale Flächen nutzen konnten, führt der aktuelle Wohnungsboom nicht nur zu einem Kampf um Ruhe, sondern auch zu einer Konkurrenz um Flächen und Baugebiet. Gewinner ist meist der mit der volleren Brieftasche – zu denen in den wenigsten Fällen die Clubs zählen. Hinzu kommt das gestiegene Interesse an Ruhe. Während es vor einigen Jahren noch zum guten Ton gehörte, dass es in der Nähe bekannter Clubs auch mal bis nachts etwas lauter war, fühlen sich heute immer mehr Hamburger von den pulsierenden Bässen gestört.
Zahlst du noch oder cornerst du schon?
Axel Strehlitz, Inhaber der WunderBar, des Sommersalons und vom Klubhaus St. Pauli kennt noch ein weiteres Problem. Klar, unsere neue Liebe für das Cornern!
Über 60 Kioske machen dem Clubbetreiber und seinen Kollegen auf der Reeperbahn bereits seit einigen Jahren das Leben schwer. Als Kiosk getarnt, verkaufen die Kneipen auf kleinstem Raum ihre Getränke zu günstigen Preisen. Eine Toilette fehlt, der Preis stimmt. Bereits seit einiger Zeit wird immer wieder über das Cornern debattiert. In den Medien, auf dem Kiez, in unserem Freundeskreis. Eine Lösung ist trotz allem noch nicht in Sicht. Auch wenn Strehlitz den Trend des Cornerns sogar ein bisschen versteht – schließlich habe er früher auch vorgeglüht und dabei natürlich versucht zu sparen – ist es ihm wichtig, dass klar wird, was dieser Trend für die Szene bedeutet.
„Am Ende wird der Sommersalon wegen schlechter Rendite vor die Hunde gehen!“ Und auch der Kiosk, der als Parasit nur von den Gästen lebt, die eigentlich zum Sommersalon wollten, wird schließen müssen. Erst dann, so befürchtet der Clubbesitzer, werden die Leute verstehen, dass ein Kiosk eben kein Entertainment, keine Kunst und auch keine Kultur anbieten kann. Ein Vorwurf geht in der Corner-Debatte auch an die Grundstücksbesitzer. Natürlich scheint es auf den ersten Blick enorm lukrativ, einen 10 Quadratmeter großen Raum mit Fenster für sehr viel Geld an einen Kioskbesitzer zu vermieten.
An die Auswirkungen auf die ganze Szene denken leider nur die wenigsten. Gerade die Clubs auf dem Hamburger Berg, fast alle eintrittsfrei, leben fast ausschließlich von den Getränkeeinnahmen. Bei dem freien Eintritt handelt es sich um eine jahrelange Tradition: Die meisten Kneipen, Bars und Clubs auf dem Hamburger Berg nehmen keinen Eintritt und bieten ihren Gästen ihre DJs, die Security und alles was man zum Feiern braucht for free an. Durch das rasante Aufkommen der Kioske mussten viele Besitzer in den vergangenen Jahren jedoch massive zweistellige Einbußen hinnehmen. Die Lage spitzt sich zu.
Nicht nur den Clubbesitzern sind die aufkommenden Kioske ein Dorn im Auge. Auch die Nachbarschaft vieler Clubbezirke muss unter den neuen Spielern im Kampf um die Kunden leiden. „Wenn die Leute, die sich am Kiosk ein Bier geholt haben, keine Toilette finden, machen sie eben in die Hauseingänge“, weiß Strehlitz. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich bewegen sich die Kioske auf der Reeperbahn dabei auf dünnem Eis.
Bei dem gesamten Konzept handelt es sich auch um ein wettbewerbsrechtliches Problem. Indem der Einzelhandel, als der sich ein Kiosk ausgibt, nicht genehmigungspflichtig, sondern nur anzeigepflichtig ist, ersparen sich die Besitzer viel Zeit und Geld. „Bis man als Gastronomiebetrieb die ganzen Genehmigungen eingeholt hat, ist ein halbes Jahr vergangen und man um 100.000 Euro ärmer“, weiß der Sommersalon-Besitzer aus eigener Erfahrung. Eine Lösung, so Strehlitz, sei vermutlich vorerst nicht in Sicht. Der Bezirk könne in diesem Fall wenig ausrichten. Um hier etwas langfristig und nachhaltig zu bewegen, müssten Landesgesetze geändert werden.
Die Kioske selbst können diese Vorwürfe nicht nachvollziehen. „Ich glaube nicht, dass es in den Clubs so viel schlechter läuft, nur weil es hier auch Kioske gibt“, so der Geschäftsführer der Tabak-Börse auf St. Pauli in der Nähe des Grünen Jägers. Die Preisunterschiede bei den Getränken seien gering und umliegende Bars würden sich beispielsweise auch nicht beschweren. Je nach Wetterlage und Stimmung ziehe es die Partygäste in Hamburg eben zu den unterschiedlichen Angeboten. „Wenn es in der Clubszene aktuell nicht gut läuft, sollten die Besitzer lieber drüber nachdenken, was sie in ihrem Laden falsch machen.“ Auch Torben Steenbuck, Hamburger Musikjournalist und Clubanhänger, glaubt nicht an die Theorie, dass die Kioske Schuld an der Misere sind. „Die Clubs gehen eher an den hohen Mieten oder schlechtem Management kaputt.“
Wie wollen wir heute feiern?
Neben den neuen Problemen von außen, mit denen die Clubbesitzer zu kämpfen haben, verändert sich auch unser Ausgehverhalten. Durch den demografischen Wandel und eine neue Art des Feierns hat sich das Publikum, haben wir uns, grundlegend gewandelt. Denn Hand aufs Herz – gehen wir wirklich noch so feiern, wie vor einigen Jahren? „Durch die ganzen sozialen Netzwerke und Apps wie Tinder sind die Clubs an mancher Stelle aus dem Fokus geraten“, meint Christian Engel, Geschäftsführer und Gesellschafter vom Halo Club auf der Großen Freiheit. Heutzutage trifft man sich eher im Park oder geht zu den großen Festivals.
„Die Leute konzentrieren sich lieber auf besondere Events und bleiben der Wochenend-Clubszene fern“, so Engel. Und nicht nur das. Allgemein scheint sich auch bei den Hamburgern immer stärker die „Geiz-ist-Geil“-Mentalität durchzusetzen. Oder anders ausgedrückt: Es gibt viel mehr Bereiche, in denen wir heutzutage unser Geld ausgeben können und wollen. Während vor einigen Jahren das Monatsplus noch fast vollständig in das Wochenende fließen konnte, wollen wir jetzt auch unter der Woche toll essen gehen und uns die Jeans aus dem Schaufenster einfach mal gönnen. Nicht zu vergessen – das 500 Euro WG-Zimmer in der Schanze, das jeden Monat bezahlt werden muss. Am Ende des Tages müssen wir sparen und das passiert eben immer häufiger Feier-Bier. Was wir jedoch nicht im Kopf haben: Auf Dauer bedeutet dies das Ende der vieler Clubs, von denen viele seit Jahren unsere Lieblingslocations sind. In denen wir Dinge erlebt haben, die eine Geschichte mit uns teilen. Oder sind es doch die Clubs, die etwas ändern sollten – zum Beispiel indem sie sich unserem Ausgehverhalten und dem kleineren Budget in der großen Stadt anpassen?
Das Clubkombinat als Retter?
Bereits 2008 haben sich 18 Clubs aus Hamburg zusammengetan, um bessere Rahmenbedingungen für die Musikszene in der Stadt zu erarbeiten. Heute – genau 10 Jahre später – besteht das Clubkombinat e.V. aus über 140 Mitgliedern und über 100 Musikspielstätten. Ihr Credo: Ein Sprachrohr für die Club- und Musikszene Hamburgs. Mehr Aufmerksamkeit, mehr Förderung, mehr Ideen.
Thore Debor, Geschäftsführer des Clubkombinats
Thore Debor, Geschäftsführer des Clubkombinats, Szenekenner, Projektmanager und Festivalorganisator, ist sich der schlechten Rahmenbedingungen durchaus bewusst. „Momentan wird die Luft für viele Clubs immer dünner – die Innovationskraft der Musiklandschaft in Hamburg ist durch die vielen formellen Probleme wie Lärmschutz und rar werdende Flächen in Gefahr." Nichtsdestotrotz ist er optimistischer als viele seiner Kollegen und hält das Siegel des „Club-Sterbens“ für überspitzt. „Zwar hatten wir in den letzten vier Jahren einen Rückgang von acht Spielstätten, jedoch gab es die zwei Jahre zuvor neun Neueröffnungen“, so Debor. Von einem echten „Sterben“ könne man seiner Meinung nach folglich nur sprechen, wenn es der Szene, wie beispielsweise gerade London, so ergeht, dass ganze 35 Prozent aller Clubs die Türen schließen müssen.
Trotzdem haben die Mitglieder des Kombinats die Probleme der Clubszene in Hamburg erkannt und setzen alles daran, diese zu mindern oder aus der Welt zu schaffen. In den letzten Jahren sind so unter anderem unterschiedlichste Tools entstanden. Mit einer Infrastrukturförderung werden den Clubs der Stadt mittlerweile die Rahmenbedingungen erleichtert. Mit einem Sanierungsfonds sollen Schicksale, wie das des Molochs, abgewendet und mehr Geld in die Instandhaltung der Clubgebäude gesteckt werden. Alles Dinge, die mit der Stadt besprochen und ausgehandelt werden müssen und für die ein kleiner Club häufig nicht die Kapazitäten hat. Aktuell läuft eine Petition für den Erhalt der Musiklandschaft Hamburgs. Für das Moloch kommt diese Hilfe allerdings vermutlich zu spät.
Neben all diesen Förderungen, die das Clubkombinat mit Stadt und Politik aushandelt, ist es den Mitgliedern darüber hinaus wichtig, auch die Menschen selbst, das Herz der Clubszene, wieder ins Boot zu holen. Uns zu überzeugen, nicht nur in die neuen Jeans oder das neue iPhone zu investieren, sondern auch mal wieder Budget an die Hand zu nehmen, um richtig feiern zu gehen. „Mit unserer „Clubplan-App“ wollen wir allen, die Lust auf Party haben, zeigen, welches Programm in unseren Clubs aktuell läuft.“ Vielleicht haben sie es ja einfach nur vergessen.
Die Szene der Zukunft
Doch wie könnte die Clubszene der Zukunft aussehen? Braucht es wirklich „nur“ mehr Flächen, weniger Kioske und tolerant-großzügige Clubgänger? Wohl kaum. Fest steht, nicht nur die Rahmenbedingungen selbst haben sich in einer Großstadt wie Hamburg in den letzten Jahren stark verändert. Auch die Szene, ihre Betreiber, ihre Stars und ihr Publikum, wir, haben einen Wandel durchlebt. John Schierhorn, Gründer des Waagenbau, glaubt nach wie vor an die Rettung der Clubszene. „Wenn es uns gelingt, gemeinsam mit der Stadt Möglichkeiten für legale Open-Air-Flächen, Zwischennutzung von Gebäuden und breit aufgestellte Finanzierungsmöglichkeiten, wie beispielsweise eine Genossenschaft der Clubs, zu erarbeiten, dann haben wir eine echte Chance.“
Eine Chance, die man unbedingt ergreifen sollte, schließlich ist die Szene nicht nur für den kulturellen Wert der Stadt eine wichtige Säule. Als Touristenmagnet könnte der Rückgang einer vielfältigen Clubszene auch erhebliche finanzielle Folgen mit sich bringen. Fest steht: Nur wenn alle, die Stadt, die Politik, die Clubbesitzer und auch wir, das Partyvolk, dieselben Ziele haben, kann ein Club-Sterben verhindert werden. „Und dann bleiben wir auch die kleine, aber feine Schwester von Berlin“, so Schierhorn schmunzelnd, „sonst werden wir vielleicht sehr schnell eher so interessant wie Hannover.“
Text: Laura Bähr
Fotos: Tobias Göbbels (1), Zohier Saberi (1), Peter Eichelmann (1), Alexander Popov (1)
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