Das Studium ist die vielleicht aufregendste Zeiten des Lebens. Ein neuer Abschnitt, eine eigene Wohnung oder WG, womöglich eine neue Stadt, und vor allem: tausend neue Leute. Jedenfalls gefühlt. Kaum eine andere Lebensphase bietet mehr Möglichkeiten, um jemanden kennenzulernen. Seminare, Mensa, Club, Unisport, Unipartys – an Gelegenheiten mangelt es jedenfalls nicht. Aber was heißt das konkret für das Liebesleben? Wer will sich austoben und wer sucht was Ernstes? Wie lieben Hamburgs Studenten?
Wir fragen die, die es wissen müssen. Nämlich Euch. Wir haben uns mal auf dem Campus und bei Facebook umgehört, sprachen mit Singlebörsen, der Uni, Singles und Paaren über die „Liebe in Zeiten des Studiums“. Klar ist jedenfalls: Wer sich austoben will, ist in der Hansestadt genau richtig. Immerhin sind knapp 25 Prozent der Hamburger Single. Außerdem ist unsere Stadt im Vergleich zu Deutschlands anderen Großstädten vor allem wegen seiner Ausgehmöglichkeiten sehr beliebt. Bei einer aktuellen Umfrage unter Singles wurde die Frage gestellt: „In welcher deutschen Stadt gefällt Ihnen das Nachtleben besonders?“. Bei den Antworten lag Hamburg an erster Stelle, dicht gefolgt von Berlin und Köln. Was das Partyleben angeht, ist die Hansestadt die Hochburg für Singles. Aber warum ist das überhaupt so, wie kommt es dazu, dass hier so viele Menschen allein und nicht in einer Beziehung leben? „Hier ist es natürlich viel anonymer als in einer Kleinstadt“, weiß Daniela van Santen, die in Hamburg Psychologie studiert hat und heute als Beziehungs-Coach arbeitet. „Wenn man dann neu und noch nicht vernetzt ist, gibt es unglaublich viele Menschen, die man theoretisch kennenlernen kann. Da fällt die Auswahl durchaus sehr schwer.“
Klingt nach einem riesigen Single-Supermarkt mit so vielen süßen Angeboten, dass man sich kaum festlegen mag. Die Expertin bestätigt: „Besonders bei Frauen bis 30 Jahre ist vieles auf Spaß ausgelegt. Das heißt, es gibt viele wechselnde Partnerschaften und die werden nicht so ernst genommen. Die berufliche Ausbildung, das Studium oder der Beruf und die Karriere stehen im Vordergrund.“ Hat das auch mit der Emanzipation der Frauen zu tun? „Sicherlich auch, ja. Frauen übernehmen mehr und mehr die Rollen von Männern, das heißt, sie sind sehr tatkräftig, dominant, erfolgreich und das jagt Männern oft Angst ein.“ Das Internet macht die ganze Sache mit der Partnersuche nicht leichter, denn hier wird jungen Menschen wird suggeriert, dass man sich den Traummann oder die Traumfrau mit ein paar Klicks ganz einfach „zusammenbauen“ kann.
Einmal Mann mit Tattoos, bitte!
Denn wenn man sich im Netz umsieht, dann ist der Vergleich mit dem Supermarkt alles andere als weit hergeholt. Parship.de, Elitepartner.de, datingcafe.de, neu.de. Edarling.de und ganz neu mit dabei adoptaguy.de. Die Internetseite ist wohl die ungewöhnlichste Dating-Seite, denn sie versteht sich als „Online-Shop mit männlichen Objekten“. 85 Prozent der Mitglieder sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. Hier können Frauen nach Herzenslust „shoppen“, die verschiedenen Kategorien erleichtern die Suche: Vom „Lockenkopf“, über „den Gepiercten“ und den „Nerd“ bis hin zum „Bären“ ist für jeden etwas dabei. Oder sollen es ein paar Tattoos sein? Auch kein Problem. Von der Haarfarbe bis zum Beruf lassen sich hier bei der Suche die Kriterien festlegen. So soll Frau (angeblich) den Traumprinzen finden. „Ich dachte mir, dass es höchste Zeit ist, die Rollen umzukehren“, meint Manuel Conejo, einer der Gründer. Bislang funktioniert die Idee aus Frankreich so gut, dass sie in diesem Jahr auch in vier weiteren Ländern an den Start gegangen ist – darunter eben auch in Deutschland. Klingt nach Spaßgesellschaft. Und Austauschbarkeit. Nach der schnellen Nummer. Und Unverbindlichkeit.
Etwas alltagstauglicher geht es da bei einem lokalen Dating-Portal zu: Bei hamburgersingles.de tummeln sich 10. 000 Hamburger Singles, darunter auch erstaunlich viele Studenten. Und es werden immer mehr Mitglieder „Wir haben eine monatliche Zuwachsrate von 20 Prozent“, weiß Andi Meran von hamburgersingle.de.
Ist die Zweierbeziehung out?
Halten wir bis hierhin fest: Das Studium, das Internet und das Leben in der Großstadt bieten nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, um Leute kennenzulernen und mit ihnen Spaß zu haben. Aber was ist mit denen, die an einer ernsten Beziehung interessiert sind? Sind die ausgestorben? Klare Antwort: Nein! Denn die klassische Zweierbeziehung ist keineswegs ein Auslaufmodell. Eine Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks hat spannende Zahlen ergeben: Rund die Hälfte der Studenten leben in einer festen Beziehung, darunter mehr Frauen als Männer. 43 Prozent Single, 6 Prozent sind verheiratet und 5 Prozent haben ein Kind.
Der Soziologe Thomas Müller-Schneider von der Uni Landau wollte es ebenfalls ganz genau wissen, deshalb hat er fast 11.000 junge Leute an deutschen Hochschulen befragt. Auch seine Ergebnisse zeigen, dass sich eine überwältigende Mehrheit der heutigen Studenten eine feste Beziehung wünscht – und zwar lebenslang. Auch „Treue“ ist für die meisten ein äußerst wichtiger Wert, der nicht aus der Mode kommt. Rund 90 Prozent der Befragten gaben an, treu zu sein.
Woran hapert es?
Wenn sich so viele Studenten eine feste Beziehung wünschen und das Studentenleben die perfekten Bedingungen bietet um neue Leute kennenzulernen, dann bleibt doch die Frage: Warum sind nicht mehr Studis vergeben, woran hapert es? „Es bleibt alles immer sehr oberflächig“, hat zum Beispiel die 19-jährige Jana festgestellt. Sie ist seit einiger Zeit Single, hat gerade in diesem Semester mit ihrem Politikwissenschaftsstudium losgelegt und hat keine Ersti-Party ausgelassen. „Dabei jemanden kennenzulernen ist kein Problem, aber es bleibt dann bei flüchtigen Kontakten.“ Auch der 24-jährige Roman aus Hamburg hat zur Zeit keine Beziehung. Der Wirtschaftsingenieurwesen-Student sagt: „Wenn ich die Richtige treffe, hätte ich nichts dagegen einzuwenden. Aber ich bin nicht wirklich auf der Suche, da ich im Studium doch häufiger durch Praktika oder Auslandssemester an unterschiedlichen Orten sein werde. Das ist ja nicht grade beziehungsfreundlich.“ Ist das der Knackpunkt? Wie schwer ist es, während des Studiums eine Beziehung einzugehen und sie aufrecht zu erhalten? Immerhin hat die Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks gezeigt, dass fast jeder dritte Student während des Studiums ins Ausland geht. Die häufigsten Ziele deutscher Studenten sind dabei Großbritannien, USA, Spanien, Frankreich und die Schweiz. Für viele Beziehungen wird der Auslandsaufenthalt zur Zerreißprobe – keine leichte Aufgabe.
Komplizierte Beziehungskisten
Zwei, die dieses Problem nur zu gut kennen, sind Janina und Joshua. Das junge Paar war eineinhalb Jahre zusammen, da wurde es auch schon wieder getrennt. Der 19-jährige Joshua arbeitet für ein Jahr in einem Township in Kapstadt und absolviert dort einen Freiwilligendienst. Er wird seine Freundin in dieser Zeit nur ein einziges Mal persönlich sehen können. Alles andere funktioniert über Handy und Internet. Das Internet als Ersatz für körperliche Nähe. Das funktioniert nur bedingt, wie Beziehungscoach Daniela van Santen weiß. „Skype ist nicht dafür geeignet, sich in den Arm nehmen zu können, wenn man nach Hause kommt und getröstet werden will, weil der Tag nicht gut gelaufen ist – das geht nicht. Immerhin ist, im Gegensatz zu SMS oder beim herkömmlichen Telefonieren, Blickkontakt da. Aber selbstverständlich ersetzt das in keinster Weise die körperliche Nähe.“ Die physische Distanz bleibt also auch trotz moderner Kommunikationswege ein Risiko für jede Fernbeziehung. Aber Joshua und Janina bleiben optimistisch und glauben an ihre junge Liebe. „Sonst würden wir es nicht versuchen. Wir sehen uns im März, das macht uns beiden Mut. Und durch den Austausch bei WhatsApp sind wir immer in Kontakt und fangen gar nicht erst an zu zweifeln“, erzählt Joshua. Van Santen bestätigt: „Die neuen Medien sind kein Ersatz, können aber eine Hilfe sein. Man kann den Partner kurz an Alltäglichem teilhaben lassen, in dem man zum Beispiel auf WhatsApp schreibt, was einem gerade Schönes passiert ist oder worüber man sich gerade ärgert“. In der Praxis hat Beziehungs-Coach Daniela van Santen aber auch festgestellt, dass „gerade Missverständnisse, hervorgerufen durch Facebook und Co., Beziehungen – insbesondere Fernbeziehungen – zur Hölle machen können, wenn nicht oder nur selten über die Beziehung gesprochen wird.“ Auf das gute alte Telefon ist also auch heute noch kein Verzicht.
Schwierig, da eine gemeinsame Zukunft zu planen
Wie es nach dem Auslandaufenthalt weitergehen wird, bleibt für Joshua und Janina offen. Denn beide wollen studieren – möglich also, dass die Studienwahl das Paar erneut räumlich trennen wird. „Ich werde versuchen in Hamburg zu bleiben und Janina weiß noch nicht in welche Richtung sie gehen wird“, erzählt Joshua. „Über die Zukunft können wir uns jetzt nicht so viele Gedanken machen, erst mal müssen wir dieses Jahr schaffen.“ Doch was den zukünftigen Wohnort anbelangt, steht für Janina schon jetzt fest: „Ich würde mich danach richten, wo Joshua hingeht, um weiterhin bei ihm bleiben zu können. Ein Jahr Fernbeziehung reicht mir definitiv!“ Gar nicht so leicht heutzutage, findet auch Expertin Daniela van Santen: „In vielen Branchen wird immer mehr Flexibilität gefordert. Heute steht der Beruf eher im Vordergrund und dafür ist man auch bereit in eine andere Stadt zu ziehen.“ Für viele stellt sich also nach dem Studium die große Frage der Prioritäten, wie sie Jürgen von der Lippe kaum schöner formulieren könnte: Geld oder Liebe?
...und wenn das Herz blutet
Die Studienzeit eröffnet also nicht nur viele Möglichkeiten, sondern sorgt auch für große Prüfungen abseits des Lehrplans. Viele Beziehungen sind diesen Herausforderungen nicht gewachsen und zerbrechen – wie schlimm das mitunter sein kann, kennt jeder, der schon einmal eine Trennung durchleben musste. Wie man heute weiß, funktioniert Liebe für das menschliche Gehirn ziemlich genauso wie eine Droge. Wenn man verliebt ist, werden dieselben Areale im Gehirn aktiviert, wie bei einem Süchtigen. Kein Wunder also, dass der „Entzug“ von beidem ähnlich schlimm empfunden wird. Aber: „Liebeskummer ist eine Lebenskrise, aber gleichzeitig auch eine Chance“, sagt Daniela van Santen, die in ihrer Liebeskummer-Praxis auch häufig mit Studenten zu tun hat. „Es ist bekannt, dass man an schweren Krisen wächst. Man geht gereifter, klarer und strukturierter daraus hervor.“
Sätze, die man mit einem frisch gebrochenen Herzen jetzt nicht hören will. Selbst wenn sie von der besten Freundin kommen. Denn der Schmerz will erst mal überwunden werden. Hierzu hat van Santen ein paar Tipps: „ An erster Stelle hilft es über das Problem zu reden“, so die Expertin. Und das – wer hätte das gedacht – gilt besonders für Männer, „die oft nicht das Gespräch suchen, sondern schweigen. Sie gehen ganz anders mit Liebeskummer um als Frauen“, weiß van Santen. Außerdem sei es hilfreich, Erinnerungsstücke wegzuräumen, um nicht ständig an den Ex-Partner erinnert zu werden. Die körperliche Betätigung ist ebenfalls wirksam. Daniela van Santen: „Sie wirkt wie ein natürliches Anti-Depressivum, da Glücksbotenstoffe freigesetzt werden. Ein Tapetenwechsel kann auch dienlich sein oder den Kummer aufzuschreiben.“
Ein bisschen rumhuren
Geht die Beziehung in die Brüche, dann gehört man schnell wieder zu den 43 % der Hamburger Single-Studenten. Ist der Herzschmerz überwunden, kann man ja endlich mal wieder die Sau rauslassen. Die Uni-Zeit ist schließlich auch da, um neue Erfahrungen zu sammeln, in jeglicher Hinsicht. Doch was halten die Hamburger von One-Night-Stands, wie ungehemmt ist das Leben als Single wirklich? Roman dazu: „Naja, manchmal kommt es schon vor, aber ich suche nicht jedes Wochenende nach einem One-Night-Stand. Also kommt das eher selten vor“, so der 24-Jährige. Klingt nicht nach dem großen Draufgänger. Auch Lotta war bis vor kurzem Single und sagt von sich, sexuell aufgeschlossen zu sein. Sex für eine Nacht findet sie trotzdem nicht so reizvoll und spricht dabei aus Erfahrung: „Ich hatte bisher drei One-Night-Stands aber sex-technisch war das nichts. Es war zwar aufregend, aber nichts für die Befriedigung“, sagt die BWL-Studentin. „Ist eher unspektakulär“, stimmt Roman zu. „Sex ist einfach auch nicht gut, wenn man sich nicht kennt“, meint auch Lotta. Dabei hatte es sich die Studentin immer so fest vorgenommen: „Immer wenn ich Single war, wollte ich mal ein bisschen rumhuren. Aber dann bin ich doch lieber schnell wieder in eine Beziehung gekommen.“
Unser Fazit: Die Studentenzeit ist wild und bietet unfassbar viele Möglichkeiten neue Leute und potentielle Sex-Partner kennenzulernen und sich ordentlich auszutoben. Wenn man denn will. Tatsächlich ist aber die Hälfte der Studis in einer festen Beziehung, und nimmt diese auch sehr ernst. Treue ist In, Zweisamkeit auch, und am Ende sucht doch jeder irgendwie jeder die große Lieben.
PS: Janina und Joshua – wir glauben an euch!
Text: Christina Rüschhoff
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