Was studierst du hier und war es schwierig, einen Studienplatz zu bekommen?
Ich studiere Angewandte Informatik an der HAW im zweiten Semester. Mich hat es immer schon interessiert, wie man eine Software programmiert. Bereits als Kind habe ich mir gewünscht, irgendwann mal ein ganz großes Programm zu schreiben. Neben meinem Studium arbeite ich als Tutor, weil ich recht gut im Programmieren bin. Die größte Hürde war die Sprache. Ich hatte zuerst noch keine offizielle Aufenthaltsgenehmigung und konnte nicht an den Integrationskursen teilnehmen. Ich habe deshalb zu Hause alleine gelernt und die Kurse selbst bezahlt.
Und wie kam es zum Hamburg Stipendium?
Das Hamburg Stipendium wird an Studenten mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund verliehen. Ich konnte im ersten Semester nicht nebenbei arbeiten und Geld verdienen, weil ich viel Deutsch gelernt habe. Ich lebe im Studentenheim in Bergedorf, dort ist es öfters laut und die Mitbewohner nehmen nicht so viel Rücksicht auf einen. Das Lernen dort fällt mir schwer. Mit einem Motivationsschreiben und zwei Gutachten von meinen Professoren habe ich mich dann einfach beworben.
Was möchtest du nach deinem Studium machen?
Ich könnte mir vorstellen im Bereich Künstliche Intelligenz, Roboter oder selbstfahrende Autos zu arbeiten. Leider gibt es aktuell noch kein Projekt, an dem ich aktiv mitarbeiten kann. Neben meinen Programmier-Tutorien arbeite ich auch als Welcome-Tutor, unterstütze und bereite Erstsemester auf das Studium vor. Beispielsweise berate ich sie, was optimales Zeitmanagement oder effektives Lernen angeht.
Ist es für dich in Ordnung über deine Flucht zu sprechen?
Ja, das ist okay. Ich bin vor über drei Jahren mit meinem älteren Bruder Saer hergekommen. Wir sind in einem Boot über das Mittelmeer von Izmir nach Koz geflüchtet. Über die Balkanroute sind wir dann zu Fuß circa einen Monat unterwegs gewesen. In Deutschland angekommen, haben wir zuerst in einer Flüchtlingsunterkunft in einem Dorf in der Nähe von Buxtehude gelebt. Saer ist nach Stade und ich nach Hamburg gegangen.
Was geht auf diesem langen Weg nach Deutschland in einem vor?
Klar, ich habe meine Familie, Freunde und mein Land vermisst. Ich war immer nervös. Man weiß ja nie, was passieren wird und welche Probleme auf einen warten. Das Schlimmste ist eigentlich, wenn man alleine ist – zum Glück hatte ich meinen Bruder. Aber ich habe auch andere Kulturen kennengelernt, meinen Horizont erweitert und sogar neue Freunde finden können.
Und wie war die Zeit nach der Ankunft hier?
Im Flüchtlingsheim selbst war es schlimm: Ich habe mir die kleine Unterkunft mit Saer und zwölf weiteren Männern geteilt. Es gab immer Streit und Probleme. Aber ansonsten habe ich keine Ablehnung erfahren und wurde von den benachbarten Anwohnern in Buxtehude willkommen geheißen. Da ich zuerst nur Englisch konnte, haben sie uns beim Papierkram und bei Terminen unterstützt. Die Menschen hier sind netter als anderswo.
Wie hast du die Zeit in deiner Heimatstadt Homs vor der Flucht in Erinnerung?
Es gab immer wieder Bombenanschläge, die Gebäude und ganze Straßenzüge zerstört haben. Ich selbst wurde von Scharfschützen der Regierung verwundet und habe zwei Kugeln ins Bein bekommen. Ich musste operiert werden und lag für zwei Monate im Krankenhaus. Freunde von mir sind gestorben. Aber nicht so viele. Fünf oder sechs, glaube ich. Durch Bomben.
Und wo lebt der Rest deiner Familie derzeit?
Ein Teil meiner sechs Geschwister lebt in Europa verteilt, eine meiner beiden Schwestern ist in Syrien. Meine Eltern sind momentan in Saudi-Arabien, aber sie möchten gerne zurück nach Syrien. Die beiden können nicht nach Deutschland kommen, es ist zu schwierig für sie.
Würdest du gerne wieder nach Syrien zurückkehren irgendwann?
Wahrscheinlich ja. Ich würde schon gerne zurückkommen, wenn Präsident Assad weg wäre und sich die Situation gebessert hätte. Aber ich möchte nicht komplett weg aus Deutschland. Hier habe ich jetzt auch Freunde und ich fühle mich schon ein bisschen wie zu Hause.
- Das Hamburg Stipendium
Das Hamburg Stipendium des Studierendenwerks Hamburg wird an Studenten mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund vergeben, die mit ihrer besonderen Lebensgeschichte den Weg an einer Hochschule eingeschlagen haben, sich hier engagieren und erfolgreich studieren. Im Förderjahr 2018/2019 werden 18 Studierende mit monatlich 150 Euro sowie ideeller Förderung für ein Jahr unterstützt. Abhängig von externen Förderern soll der Stipendiumsbeitrag auf 300 Euro aufgestockt werden.
- Ibrahem Alkurdi
Bevor Ibrahem nach Hamburg kam, floh er zunächst alleine aus Syrien in den Jemen. Dort studierte er zwei Jahre lang Medizin – in Syrien war das wegen des Kriegs nicht möglich. Ein Teil seiner sechs Geschwister lebt in Europa, eine Schwester ist in Syrien. Seine Eltern sind momentan in Saudi-Arabien, möchten aber gerne zurück nach Syrien. Eine Flucht nach Deutschland erweist sich als zu schwierig für die beiden.
Text: Kristina Regentrop
Fotos: privat (1)
Kanäle