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News aus Hamburg
TREND NIKSEN

Tagträumen nach Plan?

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Der niederländische Trend Niksen verspricht eine Lösung für alle, die von der Schnelligkeit des modernen Lebens überfordert sind: Einfach mal nichts tun! Unsere Autorin Natalia Sadovnik ist mehr als skeptisch und fragt sich, ob wir nicht an der falschen Stelle herumschrauben.

Die lange U-Bahnfahrt, die Wartezeit beim Arzt, die Freundin ist kurz auf Toilette – was haben all diese Momente gemeinsam? Richtig, dann schalten wir den Goldfisch-Modus an und beginnen zu starren – aufs Handy. Dank diesem Volkssport hat unser Gehirn nie frei, weshalb viele von uns regelrecht nervös werden, wenn sie mal fünfzehn Minuten lang bewusst nichts tun sollen und kein Gerät zur Ablenkung bereit steht. Doch genau das sollen wir nun versuchen. Nachdem Hygge für einen Duftkerzen- und Kuscheldecken-Boom sorgte, kommt nun ein neuer Achtsamkeitstrend: Niksen, niederländisch für Herumhängen. Wer richtig im Trend liegen will, sollte also zwanzig Minuten lang aus dem Fenster starren oder auf dem Sofa sitzen und den Gedanken nachhängen. Und wirklich nichts tun. Wurde faules Herumsitzen früher eher kritisch beäugt, gehört es heute angeblich zum Standard-Programm eines jeden aufgeklärten Holländers.

Wir sind Weicheier

Ich weiß nicht, welche PR-Agentur diesen Mist in den Umlauf gebracht hat, aber: Job well done. Jede noch so hinterwäldlerische Zeitung hat darüber einen blumigen Artikel geschrieben, samt Burnout-Zahlen und Tipps für eine bessere Work-Life-Balance. Ich glaube noch an das Gute und nehme an, dass zumindest ein Teil der Autoren so etwas mit guten Absichten schreibt. Umso armseliger erscheint mir das Ganze. Selbst das Herumhängen wird inzwischen so vermarktet, dass es der Selbstoptimierung dient. Nicht dass etwas am Faulenzen falsch wäre – Entspannung ist immer schön. Aber seit wann bedeutet Entspannung nur untätiges Sitzen – und nicht, zum Beispiel, Ball spielen oder malen? Für die meisten Menschen ist es, wie Niksen-Apologeten es meist selbst einräumen, stinklangweilig, einfach nur auf dem Sofa zu sitzen. Klar verliert man sich mal in Gedanken – aber das geschieht spontan und unbeabsichtigt. Müssen wir nun auch noch Tagträumen auf die To-Do-Liste setzen? Klingt so sinnvoll wie „spontaner Sex“, den man sich täglich um sechs in den Kalender schreibt. Oh, welcher Spaß.

Dass wir Menschen solche Trends feiern, zeigt vor allem eins: Wie verweichlicht wir sind. Wir könnten auch einfach: Zwei Mal am Tag aufs Handy schauen und es ansonsten ruhen lassen. Nicht jeden freien Abend mit Netflix vollballern. Nicht jedes Wochenende einen Trip machen. Nicht jeden Urlaub instagrammen. Stattdessen klagen wir über Stress und denken uns immer absurdere Trends aus: Nichts tun, keine Nachrichten mehr schauen, „negativen“ Menschen aus dem Weg gehen. Lieber verzichten auf nicht-perfekte, manchmal anstrengende Freunde oder News, die uns verärgern. Wir rauben uns selbst so viel Energie, dass wir nicht länger imstande sind, mit der Welt klarzukommen.

Digital Detox als Lösung?
Natürlich ist es nur Teil des Problems, und für den anderen Teil können wir wirklich nichts: Dass wir permanent erreichbar sind – für die Eltern, den Chef, die Dickpics von Tinderdates. Dass es schon im Kindergarten Chinesisch-Unterricht gibt und manche von uns selbst am Strand nicht ohne schlechtes Gewissen in der Sonne liegen können, sondern auch diesen Ur-Platz der Entspannung zu einem digitalnomadischen Coworking-Space machen. Dass wir täglich, stündlich, minütlich mitkriegen, welche Celebrity sich mal wieder bei Instagram blamiert hat. Dass Freund XY ein neues Startup gegründet hat. Und dass ein anderer Freund schon wieder Strandurlaub macht – und anscheinend täglich ins Fitnessstudio geht. Das gesellschaftliche Tempo ist schnell und oft unerbittlich. Aber wenn unsere Lösung dafür „zwanzig Minuten auf dem Sofa zu sitzen“ lautet – dann habe ich wirklich kein großes Vertrauen in die geistigen Fähigkeiten unserer Spezies. Zugegeben – ich bin auch handysüchtig und überarbeitet. Aber morgen, da mache ich zwei Stunden früher Feierabend und schalte das Handy aus. Und wenn ich gefeuert werde, habe ich bald deutlich mehr Zeit zum Niksen.

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