Mit komplexen Handlungsverläufen, vielschichtigen Figuren und unvorhersehbaren Plot Twists begeistern die Quality- TV-Serien ein weltweites Publikum. „Game Of Thrones“ und Co. sind Diskussionsthema vor Uniseminaren, in der Mensa und während der Zigarettenpause im Büro.
Der in Hamburg geborene Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen spricht gar von einer „heftigen Omnipräsenz des Seriengesprächs“. Der Aufstieg der Serie zu einem ernstgenommenen Kulturgut hat seinen Anfang hauptsächlich mit den Eigenproduktionen des US-Senders HBO genommen. Mit „The Wire“ und „The Sopranos“ wurden Anfang der 2000er folgenübergreifende Erzählweisen etabliert und das „goldene Zeitalter des Fernsehens“ eingeläutet.
Spätestens seit Netflix und Co. in das Geschäft eingestiegen sind, wird der Markt überflutet. Während die deutschen Zuschauer schon lange auf den Zug aufgesprungen sind, kann aus heimischer Sicht kaum die Rede von einem „goldenen Zeitalter des Fernsehens“ sein. Der Blick ins europäische Ausland macht dieses Versäumnis noch weniger nachvollziehbar. Denn nicht nur Großbritannien („Luther“) oder Italien („Gomorrha“) haben eigene Serienprodukte auf ästhetisch hohem Niveau auf den Weg gebracht, auch Dänemark zum Beispiel hat mit dem Polit- Drama „Borgen“ ein Qualitätsformat geschaffen. Und Deutschland? Haben wir nicht mehr zu bieten als den peinlichen Dauerbrenner „Alarm für Cobra 11“?
GESCHEITERTE HOFFNUNGSTRÄGER UND LICHTBLICKE
Das ZDF hat letztes Jahr mit „Morgen hör‘ ich auf“ um den Geldfälscher Jochen Lehman (Bastian Pastewka) eine eigentlich sehenswerte Mini-Serie ausgestrahlt und dafür positive Kritiken erhalten, sich dabei aber auch ungeniert bei der Crystal-Meth-Saga „Breakin Bad“ bedient. Abkupfern, ohne eigene Akzente zu setzen, ist einfach nicht genug.
Mit Experimentierfreude landete der kleine Pay-TV-Sender TNT Serie 2015 einen deutschen Serien-Überraschungserfolg. In „Weinberg“ (Foto) erwacht ein Mann ohne Erinnerung in einem abgelegenen Weinort an der Ahr, wird von Visionen geplagt und in einen rätselhaften Mordfall verstrickt. Als Zuschauer dringt man in Abgründe der angeblichen Weinidylle ein. Aus Mystery-Serien wie „Lost“ bekannte Erzählweisen wurden so mit deutschen Motiven verbunden – „‘Twin Peaks‘ auf Spätburgunder“ nannte das die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ein kleiner Sender zeigt den großen, wie es geht!
WIRD 2017 DAS JAHR DER DEUTSCHEN SERIE?
Während der große Umbruch bisher also ausgeblieben ist, werfen für 2017 drei großformatige Projekte ihren Schatten voraus. Mit „You Are Wanted“ (Aufmacher-Foto, Pressekonferenz) setzt Amazon bei seiner ersten deutschen Produktion ganz auf Matthias Schweighöfer. Als Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent verwirklicht der 34-Jährige die Thrillerserie um einen jungen Mann, der durch einen Hacker-Angriff in Bedrängnis gerät. Visuell wird „You Are Wanted“ mit Sicherheit internationalen Standards genügen, allerdings ist fraglich, ob Schweighöfer sein Romantic- Comedy-Korsett für eine coole Serie aufbrechen kann!
Die Konkurrenz von Netflix zieht mit „Dark“ die erfolgversprechende Mystery-Karte für seine deutsche Erstproduktion. Dank Regisseur Baran bo Odar könnte „Dark“ unserer Meinung nach der deutsche Serienhit 2017 werden. Denn der Schweizer hat mit seinem Hacker-Thriller „Who Am I“ mit Elyas M’Barek sogar einige US-Studiobosse überzeugt und dreht derzeit sein Hollywood-Debüt „Sleepless Night“. In „Dark“ inszeniert er die Geschichte von zwei auf mysteriöse Weise verschwundenen Kindern in einer typischen deutschen Kleinstadt. Dass deutsche Mystery- Stoffe funktionieren, hat „Weinberg“ ja jüngst eindrücklich demonstriert.
Mit einem 40-Millionen-Budget ist „Babylon Berlin“ (Foto: Die Regisseure und -Autoren, Hendrik Handloegten, Tom Tykwer und Achim von Borries) jedoch die große Kampfansage des deutschen Serienmarktes. Tom Tykwer („Lola rennt“) verfilmt dafür einen historischen Krimistoff des Autors Volker Kutscher. Die Handlung dreht sich um Kommissar Gereon Rath, der vor dem Hintergrund der aufgewühlten Zeit im Berlin der 1920er Jahre ermittelt. Mit dem Projekt wollen die Macher „auf dem internationalen Markt oben mitspielen“! Abwarten...
Auch wenn wahrscheinlich nicht alle Ankündigungen durch die Decke gehen werden, freuen wir uns auf das Serienjahr 2017! Bis dahin, sehen wir weiter fleißig US-Serien– die unsere Erwartungshaltung mit Sicherheit nicht senken!
Text: Sven Husung
Fotos: Tinnefeld, Pedersen, Turner
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