Wir lernen uns im Praktikum kennen. Er schaut mich verliebt an, ich finde es aufdringlich. Dann zieht er in eine andere Stadt. Wir schreiben uns andauernd und am Ende will ich ihn doch. Also: Fernbeziehung, besser gesagt Dauer-Streit über Skype. Wären wir bloß Freunde geblieben, sagen wir beide zum Schluss. Andere Zeit, anderer Ort: Ich verliebe mich in den Bruder meiner besten Freundin, der mich klar und deutlich friendzoned. Meine Gefühle gehen nie weg – bis wir viele Jahre später unverhofft im Bett landen. Der Sex ist so langweilig, dass ich mir die Augen ausstechen will. Ich gebe ihm Recht, die Chemie ist einfach nicht da. Wusste er wohl schon vor mir.
Der trügerische „Ich will dich“-Moment
Liebe trotz anfänglicher Ablehnung ist meine Spezialität. Gewissermaßen bin ich selbst ein Friendzone-Produkt: Als mein Vater meine Mutter nach einem Date fragt, lehnt sie dankend ab. Laut ihrer Erzählung benimmt er sich affig, kleidet sich schrecklich und sagt immer das Falsche. Doch er lässt nicht locker und nach vier Jahren hat er sie. Wie romantisch – nur trennen sie sich nach weiteren sieben. Zwar bin ich froh, vorher noch gezeugt worden zu sein, abgesehen davon halte ich das Ganze für eine ziemliche Zeitverschwendung.
Wissenschaftler sagen, wir entscheiden binnen Sekunden, ob jemand für uns infrage kommt. Natürlich besteht eine Beziehung aus mehr als dem „Ich will dich“-Moment. Doch ich glaube, unser Bauchgefühl warnt uns sehr deutlich, wenn wir uns lieber nicht mit jemandem paaren sollten. Womöglich spüren wir in diesen ersten Sekunden, wenn Person X etwas an sich hat, was wir später hassen werden. Das Bauchgefühl kann sich auch irren, einige unserer besten Freunde finden wir anfangs unausstehlich. Und manche Paare waren zuerst nur befreundet. Doch viel öfter tritt das sehr vorhersehbare Gegenteil ein.
Bei mir etwa, als ich jemanden wegen seiner neurotischen Art friendzonte, mich nach ein paar Monaten doch verliebte und später wegen ebendieser Neurosen schreiend flüchtete. Und dann oft an die ersten Kennenlern-Sekunden dachte, in denen mein Bauchgefühl ein deutliches „Stopp“ vermeldete.
Ego-Erektion oder echte Gefühle?
Ich glaube, wir sollten öfter auf unser inneres Warnsystem hören. Und zwar auch, wenn wir gefriendzoned werden. Vielleicht merkt die Person, die nur mit uns befreundet sein möchte, etwas, was uns noch entgeht. Die Friendzone verdient Respekt. Primär aus egoistischen Gründen: Nachher kritisiert die Person unser Aussehen, findet unsere Hobbys lächerlich und tut einen Dreck für die Umwelt, während wir jedes Wochenende die Fahrraddemo anführen. All das merken wir im Zweifelsfall erst nach dem hundertfünfzigsten Streit. Wären wir in der Friendzone geblieben, hätten wir vielleicht schon ein nettes Mädchen oder einen netten Jungen gefunden, der mit uns freudig über die Köhlbrandbrücke radelt.
Mittlerweile glaube ich: Die Friendzone wird unterschätzt. Sie erspart einem unnötiges Drama. Gleichzeitig entstehen gerade da die besten Beziehungen – nicht umsonst halten Freundschaften meist deutlich länger. Und wenn wir uns über Gefriendzoned-Werden ärgern, sollten wir uns ehrlich fragen: Geht es mir wirklich um die Person? Oder hat mein Ego gerade eine Erektion und bekommt sich einfach nicht wieder ein? Oft sind wir gar nicht verliebt, sondern liebesbedürftig. Und unerkannte Liebesbedürf-tigkeit macht einen schnell zum Arsch – oder eben zum Therapiefall.
Mit der Skype-Fernbeziehung von damals bin ich inzwischen wieder in der Friendzone. Und da gehen wir ganz sicher nicht wieder raus.
Text: Natalie Jardinier
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