Philipp macht bereits sein zweites Praktikum, obwohl er erst 20 Jahre alt ist. Nach dem Abitur fing er an, Japanologie zu studieren, doch er merkte schnell, dass das nichts für ihn war. „Ich habe mich dann dazu entschlossen, Arbeitserfahrungen zu sammeln, bevor ich mich für ein anderes Studienfach entscheide“, erzählt er. Also verbrachte er sechs Monate als Praktikant bei der Zeitschrift „M!Games“ und schnuppert nun weiter Praxisluft bei der Fernsehsendung „Reload“, die auf „EinsPlus“ läuft. „Ich wollte in das redaktionelle Arbeiten einer TV-Produktion reinschauen, da ich mir vorstellen könnte, in der Medienbranche zu arbeiten“, erklärt der zwanzigjährige.
Sind Praktika unabdingbar für den späteren Berufseinstieg? Hilfreich sind sie allemal. In einem Praktikum kann man viel über die Berufswelt lernen, nützliche Kontakte knüpfen und testen, ob der angestrebte Job zu einem passt. Viele Studenten hoffen, dass sie nach dem Praktikum übernommen werden können. Doch genau das wird ihnen manchmal zum Verhängnis, denn viele machen ein Praktikum nach dem anderen, in der Hoffnung, irgendwo bleiben zu dürfen. Der Begriff „Generation Praktikum“ ist seit ungefähr zehn Jahren in aller Munde. Immer wieder schreiben Zeitungen über Absolventen die trotz exzellenter Noten, fünf Praktika und Fremdsprachenkenntnissen keine Festanstellung bekommen. „Generation Praktikum“ steht für eine Grundanspannung, die bei Studenten häufig da ist. Nicht nur Wirtschaftskrisen und schlechte Berufsaussichten machen ihnen Angst. Vielmehr sind manche von einem Überangebot der Möglichkeiten verunsichert. Oft ist es wie bei Philipp schon schwer genug, sich überhaupt für einen Beruf zu entscheiden. Noch dazu kann die Fülle der Angebote für Praktika, Auslandsaufenthalte, Sprachkurse oder Stipendien ganz schön unter Druck setzen. Dann macht man das vierte, fünfte oder sechste Praktikum. Aber ist die Jagd nach dem perfekten Lebenslauf wirklich notwendig? Und sind Praktika die beste Methode, sich für potentielle Arbeitgeber zu empfehlen?
Gute Berufsaussichten für Akademiker
Ein Grund sich zu entspannen: Die Berufschancen für angehende Akademiker sind grundsätzlich gut. „Wir haben momentan einen sogenannten Bewerbermarkt, das heißt, dass Absolventen bestimmter Fachbereiche sehr gefragt sind, vor allem in den Naturwissenschaften, den technischen Studiengängen und den Betriebswirtschaften“, sagt Frauke Narjes, Berufsberaterin und Leiterin des Career Centers der Universität Hamburg. Und die anderen Fachrichtungen? „Geistes- und Sozialwissenschaftler hatten es schon immer etwas schwieriger, da generell wesentlich weniger Arbeitsplätze für sie angeboten werden. Sie werden im Durchschnitt auch ein Leben lang schlechter bezahlt als die anderen Berufe.“ Doch generell scheint ein Hochschulabschluss gut gegen Arbeitslosigkeit zu sein. 2012 waren lediglich 2,5 Prozent der Akademiker arbeitslos gemeldet, die Arbeitslosenquote bei Menschen ohne Berufsabschluss lag hingegen bei knapp 20 Prozent.
Praktische Erfahrungen werden nicht von allen Absolventen erwartet. Wer zum Beispiel mit einem hervorragenden Physik oder Chemie-Abschluss in die Forschung möchte, schafft es auch ohne Praktika. Wie wichtig Arbeitserfahrungen sind, hängt vom Studiengang und vom Berufsziel ab. Frauke Narjes erklärt: „Für diejenigen, die zum Beispiel Informatik studieren und sich mit Trendthemen wie der Analyse großer Datenmengen beschäftigen, sind Praktika eher unwichtig. So jemand kann auch ausschließlich wissenschaftlich arbeiten, denn Experten auf dem Gebiet sind zurzeit sehr gefragt“, sagt sie. „Wenn man hingegen einen hervorragenden Anglistik-Abschluss hat, aber nach dem Studium immer noch nicht weiß, welche Arbeitsmärkte überhaupt existieren, für den wird es schwieriger“.
Praktikum oder Nebenjob?
Ob man ein Praktikum macht oder lieber einen Nebenjob, ist häufig eine finanzielle Entscheidung. Zwar wird die Mehrheit der Praktika mittlerweile bezahlt, doch reicht die übliche Vergütung meist nicht zum Leben. Zum Jobben bleibt bei einem Vollzeitpraktikum meistens sehr wenig Zeit. Das erlebt auch Jan, der kurz vor seinem Abschluss des Studiums in Medienwirtschaft steht und später als Filmproduzent arbeite möchte. Er hat bereits mehrere Praktika und Jobs in der Filmbranche hinter sich. Während seines letzten Praktikums als Produktionsleiter in einem Kino hat Jan nebenbei gearbeitet, abends und am Wochenende. „Zuerst ging das, doch später wurde es einfach zu stressig“, sagt der Bachelorstudent. Glücklicherweise konnte er währenddessen bei seinen Eltern unterkommen: „Hätte ich Miete zahlen müssen, wäre das sehr, sehr schwierig“, sagt er.
In Martin Jansens Lebenslauf steht kein einziges Praktikum. Dabei beendet er bald sein Masterstudium. „Ich wollte mal eins machen, aber es hat sich zeitlich nie ergeben“, erzählt der 26-Jährige. Als er für sein Studium der Medien und Kultur anfing, suchte er lieber nach einem Nebenjob. „Ich bewarb mich bei mehreren Unternehmen und entschied mich dann für einen Eventdienstleister. Die Bezahlung war zwar mies, aber die Tätigkeit interessant und ich habe viel gelernt“, sagt Martin. „Ein paar Monate später habe ich gefragt, ob ein Veranstaltungsleiter gesucht wird.“ Er bekam die Position und arbeitet nun bereits seit einem halben Jahr für ein großes Konzerthaus. Je nach Konzert ist er für 20 bis 40 Mitarbeiter zuständig, die er einweist. Zudem ist er für die Sicherheit im Zuschauerraum verantwortlich und Ansprechpartner für die Veranstalter und die Haustechnik. „Bei mir kommt alles zusammen, um einen reibungslosen Abend zu gewährleisten.“ So ein Nebenjob mit Führungsqualität ist eine gute Alternative zu einem Praktikum. Außerdem kann Martin damit seinen Lebensunterhalt und sein Studium finanzieren. Nach dem Studium möchte er sich nach einem Vollzeitjob oder einer Traineestelle umsehen. Ein Praktikum kommt für ihn dann nicht mehr infrage.
Dauerpraktikum? Muss nicht sein!
Zuerst gilt: Macht Euch schlau. „Man sollte sich auf jeden Fall über den Arbeitsmarkt informieren und sich in der Branche umsehen, in der man später arbeiten möchte“, rät die Karriere-Beraterin Narjes. „Studierende der Geistes- oder Sozialwissenschaften müssen eine so etwas wie eine Geschäftsidee für sich selbst entwickeln: Wie bauen sie sich Netzwerke auf, wie werden sie bekannt, wo erfahren sie über Jobs?“ Wer zum Beispiel im Journalismus Fuß fassen möchte, sollte sich lieber um freie Mitarbeit bewerben als nur Praktikant zu bleiben. „Die Qualität der Schreibproben ist im Endeffekt wichtiger als das, was im Lebenslauf steht“, sagt die Beraterin. Viele Studenten vergessen zudem, dass Jobs nicht nur über Stellenanzeigen zu finden sind, sondern auch über Kontakte. „Ungefähr 70 Prozent der Stellen werden nicht ausgeschrieben und entweder intern oder über Kontakte besetzt“, so Narjes. Initiativbewerbungen bei Wunschfirmen sind also einen Versuch wert.
Für diejenigen, die eigene Ideen umsetzen wollen und Verantwortung nicht scheuen, ist es vielleicht sogar falsch, ihre Zeit mit Praktika zu verschwenden. Sie könnten stattdessen selbst ein Projekt oder einen eigenen Betrieb auf die Beine stellen. Die Career Center der Hamburger Hochschulen bieten häufig Kurse oder Workshops an, in denen man betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse bekommen kann. Wenn man im Studium so eine Erfahrung gemacht hat, hebt sich von anderen Bewerbern ab.
Noch unentschlossen? Nicht hängen lassen!
Wenn Philipp fertig ist, wird er insgesamt ein Jahr Praxiserfahrung haben. Was er später damit machen möchte, weiß er noch nicht ganz genau. „Etwas Kreatives soll es aber auf jeden Fall sein, so viel steht fest.“ Auch wenn man seinen Traumjob nicht gefunden hat, ist das kein Grund zur Verzweiflung. Denn Jobs werden heutzutage häufiger gewechselt. Unternehmen trennen sich schneller als früher von Mitarbeitern, die Welt ist mobiler, schnelllebiger und vielfältiger geworden – davon sollte man sich nicht einschüchtern lassen. Selbst wenn man am Ende des Studiums immer noch nicht weiß, was man tun möchte, sollte man den Mut haben, sich auszuprobieren. Oft kommt es nicht so sehr darauf an, welche Qualifikationen Studenten für einen Job mitbringen: „Zwar ist es mittlerweile unüblich, dass jemand gar kein Praktikum gemacht hat. Aber Nebenjobs sind auch in Ordnung, solange sie das eigene Profil sinnvoll ergänzen“, sagt Andreas Küster, der Geschäftsführer der Hanse Personalvermittlung. Fachkenntnisse sind zwar wichtig, doch kommt es vor allem darauf an, dass man sich engagiert zeigt und überzeugend präsentieren kann: „Ich würde sagen, zu 30 bis 40 Prozent kommt es auf das Fachwissen an, doch 60 bis 70 Prozent macht das Auftreten aus“, erklärt Küster. Daher: informiert Euch gut über das Wunschunternehmen und die Tätigkeit. Wer sich bereits Gedanken dazu gemacht hat, liegt in einem Bewerbungsgespräch deutlich im Vorteil.
Fazit: Natürlich ist es nützlich, ein oder zwei Praktika gemacht zu haben. Doch vorher sollte man sich fragen: was erhoffe ich mir davon? Vielleicht gibt es einen besseren Weg zum Traumjob. Was im Endeffekt zählt, sind Engagement, eine interessante Persönlichkeit und der Mut, verschiedene Dinge auszuprobieren.
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