Der ein oder andere von euch konnte vielleicht schon auf einer Technik-Messe in die virtuelle Welt abtauchen – wer Kohle hat und in der Games-Welt zu Hause ist, hat sich eventuell die Oculus Rift oder die PlayStation VR für bummelige 500 Euro gegönnt. Doch von einem Einzug der digitalen Technologie in den Alltag kann noch nicht die Rede sein. Und dass obwohl der Hype schon einige Jahre andauert und Experten gefühlt seit 2015 den „großen Durchbruch“ voraussagen.
Die Start-Up-Szene
Der Hamburger Nico Uthe interessiert sich schon seit Jahren für VR und ist Co-Gründer des Blogs „VR Nerds“, auf dem seit 2013 News, Tests und Tutorials zu Virtual und Augmented Reality veröffentlicht werden. Außerdem gründeten die „Nerds" ihre eigene Agentur samt Entwicklerstudio. In ihrem Office auf der Veddel sitzt mittlerweile ein Team aus rund sieben Leuten plus Freelancer. Hier werden Soft- sowie Hardware entwickelt, Mixed Reality Content produziert und Unternehmen bei Schulungen oder der Ausrichtung von Virtual Reality Events unterstützt. Als Kunden betreuten die VR Nerds beispielsweise Beiersdorf. Neben den Kundenaufträgen arbeiten sie aber vor allem an ihrem eigenen Projekt, dem „Tower Tag“: eine Mischung aus Shooter-Game und Kunstprojekt, in dem man sich durch verschiedene Traumwelten zockt. Ausprobieren konnte man das Spiel dieses Jahr auf der „Cebit“ und bei Conventions, wie der „Magnology" in Hamburg. „In das Spiel fließt unser meistes Geld – und unsere Leidenschaft“, erklärt Nico. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das mit dem Geld in der deutschen VR-Branche so eine Sache. „Wir hängen dadurch, dass kaum Fördergelder zur Verfügung stehen, circa zwei Jahre hinter Städten wie Amsterdam hinterher", so Nico. „Und in den USA wären wir mit der selben Arbeit wahrscheinlich schon Meilen weiter." Fast alle VR Start-Ups müssen deshalb ohne externe Finanzierung auskommen. Bootstrapping nennt man das. „Trotzdem passiert im Moment aus unserer Sicht sehr viel – vor allem in der Games-Branche“, sagt Nico. „Die Soft- und Hardware wird dem Hype noch nicht ganz gerecht, aber mittlerweile gibt es wesentlich mehr Inhalte und das Thema wird präsenter.“ Diese Tendenz spiegelt auch die relativ große Szene in Hamburg wider: Die bekanntesten Start-Ups sind beispielsweise SpiceVR (HafenCity), die mit 3D-Daten und 360-Grad-Filmaufnahmen einer Drohne arbeiten, oder Noys VR (Ottensen), die sich auf VR-Anwendungen in der Musikbranche spezialisieren.
VR als Forschungsgegenstand
Auch an den Hamburger Unis wird fleißig geforscht, um den Studenten digitale Innovationen zu lehren. Prof. Dr. Frank Steinicke ist VR-Experte an der Uni Hamburg und hat hier den Lehrstuhl für Mensch- Computer-Interaktion am Department Informatik inne. Steinicke ist von Haus aus Mathematiker mit Nebenfach Informatik, befasste sich aber bereits im Rahmen seines Studiums mit interaktiver Computergrafik im 3D-Raum. „Die große Fragestellung unserer Forschung ist, wie man die digitale Welt mit der realen 3D-Welt zusammenbringen kann“, so Steinicke. Das Problem: Sobald wir eine VR-Brille aufsetzen, sehen wir zwar eine unendliche Welt. Doch tatsächlich stehen wir beispielsweise im kleinen Wohnzimmer, sodass wir nicht umherlaufen können. Einige VR-Spiele, wie „The Void“, nutzen bereits die Technik des „Redirected Walkings“, wobei man das Gefühl hat, sich vorwärts zu bewegen, obwohl man eigentlich im Kreis läuft.
Die VR-Zukunft: What's next?
Mittlerweile bauen alle Big Player, wie Sony, Microsoft und Google, VR-Brillen. Steinicke sieht eine Analogie zum Smartphone-Hype: „Die PlayStation VR verkaufte sich in den ersten Tagen ungefähr eine Million Mal – exakt die gleiche Verkaufszahl wie beim ersten iPhone.“ Und die Erfolgsstory des iPhones kennen wir alle. Steinicke prognostiziert deshalb das Ende der Smartphone-Ära: „Spätestens wenn die Technologie in Kontaktlinsengröße komprimierbar wird, ist das Smartphone zu unpraktisch.“ In naher Zukunft könnte VR bereits zum neuen sozialen Medium werden. Bester Indikator: Facebook investierte schon 2014 in das Unternehmen Oculus, um VR als Kommunikationsplattform zu entwickeln. Ein weiterer Anwendungsbereich, in dem VR und AR eine wichtige Rolle spielen könnten und teilweise schon spielen, ist „Adult Entertainment“, also die Porno-Branche. Aber auch überall da, wo es um 3D-Daten geht, könnte VR uns das Leben vereinfach: Warum nicht einfach das Hotel vor der Buchung virtuell begehen? Oder die Wohnungsbesichtigung mal eben über die VR-Brille erledigen? Praktisch!
VR-Stadt Hamburg?
Von den großen Unternehmen,wie Lufthansa oder Airbus, die schon länger mit VR-Anwendungen experimentieren, über kleine und mittelständische Unternehmen, die das Feld neu erkunden, bis zu kleineren Start-Ups, die mit Leidenschaft und Innovationskraft an spannenden Ideen arbeiten, ist die VR-Szene in Hamburg schon relativ belebt. Dazu kommen viele private Gamer und VR-Liebhaber, die sich zu verschiedenen Stammtischen treffen. Auch die Stadt Hamburg mischt selbst mit und startete 2017 die Initiative „nextReality“. Themen wie AR, VR aber auch Blended und Digital Reality sollen besser platziert werden und Wirtschaft, Wissenschaft sowie die Stadt dabei zusammenarbeiten. Es gibt unterschiedliche Aktionen, wie einen Contest oder die Vortragsreihe 12.min.me, wo Speaker der Branche in zwölf Minuten ihr Spezialgebiet im Bereich VR oder AR auf den Punkt bringen müssen. Wir sehen also mal ganz mutig in die Zukunft und behaupten, dass unser Alltag und virtuelle Realität in den kommenden Jahren mehr und mehr verschmilzen werden.
IHR HABT BOCK AUF VR? KEIN PROBLEM!
VR-Enthusiasten finden
Die VR Nerds haben eine Plattform gegründet, die wie Airbnb für Virtual-Reality-Spots funktioniert. Einfach in der Umgebung nach VR-Nutzern, die ihre Hardware und ihren Platz mit euch teilen, VR-Cafés oder Arcades suchen. Zur Info: Die Plattform befi ndet sich noch in der Testphase! nearbyvr.near-me.com
VR-Testen:
Im shoVRoom der VR Nerds bekommt ihr wie bei einem Coworking-Space einen Arbeitsplatz und könnt VR-Produkte, wie das Oculus Rift Dev Kit 1 oder das aktuelle Dev Kit 2, ausleihen und testen. Das Prinzip ähnelt einer Computer-Selbsthilfewerkstatt oder einem Hackspace. Die VR-Nerds geben gerne Einweisungen oder helfen bei der Inbetriebnahme weiter. Billhorner Röhrendamm 8d (Veddel), Preis auf Anfrage
VR-Studium:
In Hamburg kann man VR sogar studieren – beispielsweise an der HAW im Bachelor Media Systems, dem Master Digital Reality oder Medien/Sound-Vision-Games. Die Uni Hamburg bietet den Bachelor Mensch-Computer-Interaktion und auch die FH Wedel ist mit verschiedenen Studiengängen in diesem Bereich aufgestellt.
VR-Treffen:
Regelmäßig fi nden in Hamburg verschiedene Treffen von VRLiebhabern statt. Schaut einfach unter meetup.com/de/Virtual-Reality-Hamburg nach den neusten Terminen – oder unter kreativgesellschaft.org nach Vorträgen und Diskussionen.
Text: Lesley-Ann Jahn
Foto: VR-Nerds
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