GEWALT-PROTEST:
FRED SPRICHT DAFÜR
Vom G20-Treffen distanziert sich Fred (22), Germanistik Student an der Uni Hamburg, entschlossen. Er hält nicht viel von den Versprechungen einer Symbol-Politik, deren echtes Ziel es sei, die Ausübung von Macht über einen Großteil der Welt medienwirksam zu legitimieren. Für ihn trifft die Frage der Gewaltbereitschaft zur Durchsetzung politischer Ziele auf ein Paradoxon: „Erstens handelt es sich um Menschen, die aus guten Gründen und auf eigene Rechnung auf die Straßen gehen, um gegen etwas aufzubegehren. Zweitens verurteilen unsere Zivilgesellschaft und die Presse diese Gewaltakte aufs Schärfste, verschließen aber bei anderen Arten von Gewalt einfach die Augen.“ Für Fred wird jeden Tag durch Abschiebungen und Kriegseinsätze Gewalt in unserem Namen ausgeübt: „Über solche Dinge, die von Institutionen durchgesetzt werden, wird vielleicht geredet, aber die Gesellschaft zerfleischt sich nicht daran. Es ist einfacher, auf die Straße zu sehen.“
Gewalttätige Proteste sind für ihn auch als Reaktion auf eine übergeordnete Gewalt zu sehen. Das Vertrauen der „Radikalen" in die zivilgesellschaftliche Bewegung sei dadurch
gesunken, dass bestimmte Projekte wie die spätere Partei der Grünen immer wieder Kompromisse mit den Herrschenden schließen: „Radikalität zeichnet sich für mich nicht durch Gewalt aus, sondern durch die Tatsache, dass man bestimmte Verhältnisse ablehnt. Und aus diesen Gedanken entsteht manchmal Gewalt, weil diese Menschen wenig Anschluss finden, um etwas im System zu verändern.“ Fred kritisiert vor allem den Hamburger Senat, der für dieses „unnötige Prestige-Spektakel“ der Bildungs- und Sozialpolitik Geld wegnimmt. Dazu kommt die Militarisierung der Stadt, die den Einsatz von Gesichtserkennungs-Scanner und IMSI-Catcher Geräten, mit denen die Polizei Handygespräche auf Demos abhören kann, bedeutet. Das findet er ebenso „pervers“, wie dass sich Studenten an den Tagen auf Durchsuchungen gefasst machen müssen.
Zu diesen „Provokationen“ kommt für Fred hinzu, dass mehrere „faschistische politische Elemente“ an einem Ort konzentriert sein werden: „Das hat eine gewisse Symbolträchtigkeit. Außerdem will Hamburg Trump wirklich nicht haben.“
GEWALT-PROTEST:
TILL SPRICHT DAGEGEN
Dass Trump, Putin, Erdogan und Co. in der Hansestadt nicht willkommen sind, dafür sprechen mehrere setze, handle ich Tatsachen. Nicht zuletzt hatte sogar das Vier Jahres-
zeiten dem US-Präsidenten abgesagt. Dass einzelne Hotels derlei Gäste lieber nicht beherbergen – sei es aus Idealismus oder Platzmangel – ist für Till Wendt (22), Journalism & Business Communication Student, nachvollziehbar. Jedoch mit Einschränkungen: „Ernstzunehmende Staatsmänner und -frauen sollten über solche persönlichen Aversionen stehen und den Dialog erhalten. Die aktuelle Weltlage erfordert zu viele globale Lösungen, als dass man anderen Staaten die Freundschaft kündigen könnte.“
Gewalt als Rebellion gegen solche Staatsspitzen ist für ihn kein legitimes Mittel für politischen Protest: „Wer das Zerstören von Autos oder den Angriff auf Polizeibeamte als logische Reaktion auf zweifelhafte Gewaltakte durch staatliche Institutionen im eigenen Land oder anderen Flecken der Welt zu tarnen versucht, führt sich mit selbstgerechtem ,Whataboutism‘ selbst ad Absurdum.“ Es sei außerdem fraglich, in welchem Recht sich derartige Demonstranten sehen und vor allem in wessen Namen sie zu protestieren glauben: „In dem Moment, wo ich ein Auto in Brand setze, handle ich im besten Falle unreflektiert und dumm – im schlimmsten Falle sogar menschenverachtend“, so Till. Deshalb kann er solche Protestaktionen nicht rechtfertigen: „Hält man es für legitim oder gar notwendig, jemanden zu bedrohen oder herabzusetzen, weil er mutmaßlich eine andere Meinung oder viel Geld hat, offenbart das nur tiefe Mängel – menschliche, intellektuelle oder beides zusammen.“
Till tritt für die Polizei ein, die man in der Ausübung ihres Jobs nicht als Teil einer dunklen Macht entmenschlichen sollte. Diese „Wir gegen die“ Mentalität führt für ihn zu nichts. Till wünscht sich, „dass mehr Demonstranten für etwas wären, dass das schwarz-weiße Dagegen-Sein übersteigt“. Was die persönlichen Konsequenzen betrifft, bleibt er locker: „Ich werde während des Gipfels durcharbeiten und wegen des ausgebremsten Straßenverkehrs längere Wegzeiten einplanen – für den kurzen Zeitraum stehe ich das durch.“
Das sagt der Experte
GEWALT IST ERST LEGITIM, WENN DIE DEMOKRATIE GEFÄHRDET WIRD
Harald Stutte (51), Historiker, Autor und Politikredakteur bei der „Hamburger Morgenpost“, gibt eine dritte, ergänzende Ansicht zum Gewalt-Streit. Auf die Frage, ob Gewalt in der politischen Auseinandersetzung legitim sei, muss er zugeben: „Würde ich in der Türkei oder in Russland leben, wo demokratische Grundrechte eingeschränkt werden, würde ich diese Frage anders beantworten. In der Realität der Bundesrepublik sage ich ohne Abstriche: Nein!“
Für Deutschland beruft er sich aber auf eine Art grundsätzliche Übereinkunft der demokratischen Gesellschaften, von Philosophen wie Rousseau oder Hobbes Gesellschaftsvertrag genannt. Diesem „Vertrag“ stimmen heute mutmaßlich 90 Prozent unserer Mitbürger zu, ohne dass sie je etwas unterschrieben haben: „Demzufolge haben wir dem Staat das Gewaltmonopol übertragen, ohne Einschränkung. Wir dürfen kritisieren, rebellieren, stören, aber es gilt das Gebot der Gewaltfreiheit.“
Aber was, wenn wir uns nicht daran halten? „Dann würde unsere demokratische Ordnung zusammenbrechen“, so Stutte. Doch es gibt Situationen, in denen Gewalt legitim werden kann. Beispielsweise, „wenn die Demokratie in Gefahr ist, wenn es Kräfte gibt die diese gefährden oder wenn der Staatsapparat nicht fähig oder willens ist, die Kraft zu stoppen." Im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel sieht Stutte diese Art „Notstand“ aber in keinster Weise.
Unser Fazit: Wir wünschen uns natürlich, dass es zu keinerlei Gewalt vonseiten der Demonstranten sowie der Polizei kommt. In Deutschland ist die Demonstrationsfreiheit ein Grundrecht. Doch wenn dieses Recht durch gewalttätige Protestformen ausgenutzt wird, wird offensichtlich eine klare Grenze überschritten. Und man kann natürlich nicht alles über einen Kamm scheren: Extremisten müssen von friedlichen Protestlern ganz klar unterschieden werden. Und genau Letztere zeigen uns, dass es immer eine Alternative zur Gewalt gibt. Verbände wie die Bürgerbewegung Campact, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Verein Mehr Demokratie Hamburg sind nur Beispiele. Sie distanzieren sich von der linken Gewalt und dem militanten „Schwarzen Block“ und wollen die G20 als Institution nicht zerschlagen, sondern deren Inhalte durch friedliche Protestaktionen ablehnen.
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DIE WICHTIGSTEN FAKTEN ZUM G20-TREFFEN
Wer sind die G20?
Die G20 ist die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer und stellt sich als zentrales Forum zur internationalen Zusammenarbeit in Finanz- und Wirtschaftsfragen dar. Die G20-Staaten vertreten zwei Drittel der Weltbevölkerung, die für 90 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 80 Prozent des Welthandels verantwortlich sind.
Wer gehört zur G20?
Neben den G7-Ländern – Deutschland, USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada – gehören zur G20 auch Russland, die Schwellenländer China, Brasilien, Indien, Indonesien, Argentinien, Mexiko, Südafrika sowie Südkorea, Saudi-Arabien, Australien und die Türkei. Spanien genießt einen ständigen Gaststatus. Außerdem nehmen die Chefs internationaler Organisationen, wie der UNO, der Weltbank, der WTO und der OECD, teil. Auch die Vorsitzenden regionaler Organisationen, wie etwa der EU und der Afrikanischen Union (AU), werden eingeladen.
Wann und wo findet das Treffen genau statt?
Deutschland ist 2017 Gastgeber des jährlichen Treffens. Der Gipfel findet am 7. und 8. Juli in Hamburg statt – und zwar auf dem Gelände der Hamburg Messe im Karoviertel. Nach aktuellem Stand sind rund um das Messegelände zwei Sicherheitszonen, 14 Kontrollstellen und mehrere Info-Points geplant. Eine regelmäßig aktualisierte Karte findet ihr unter polizei.hamburg/sicherheitszone-messehallen/.
Was sind die Themen?
Beim Gipfel befassen sich die Teilnehmer mit dem Wachstum der Weltwirtschaft, der Regulierung der Finanzmärkte und dem internationalen Handel. Sie arbeiten an der Stärkung des globalen Finanzsystems und der Verbesserung der Aufsicht und Regulierung der verschiedenen Finanzmarktakteure. Ziel ist dabei, keinen Finanzmarkt, keinen Finanzakteur und kein Finanzprodukt mehr unbeaufsichtigt zu lassen. Ein Hauptanliegen des deutschen G20-Vorsitzes sind die Verwirklichung der Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) und des Pariser Klimaabkommens.
Text: Ivan De Vincenzi
Fotos: Fred (1), Till Wendt (1), Harald Stutte (1)
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