„Das leicht Ranzige auf St. Pauli hat seinen Charme. Das Leben hier ist einfach authentischer und echter“, erzählt Julian, der vor zweieinhalb Jahren nach St. Pauli gezogen ist. „Ich wohne hier total gerne, auch wenn man natürlich mal verrückten Leuten über den Weg läuft!“ Vorher wohnte der Student in der Kieler Straße in Atona-Nord. „Aber da war mir zu viel Autolärm. Ich hatte außerdem keine Lust mehr auf das WG-Leben und habe deswegen nach einer eigenen Wohnung gesucht.“
Und Julian hatte Glück: Mit einem Berechtigungsschein für öffentlich geförderten Wohnraum in der Tasche, guckte er sich zwei Wohnungen der SAGA an und bekam prompt den Zuschlag. Für seine 44 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung in der Balduinstraße, einer Verlängerung der Silbersackstraße mitten auf St. Pauli, zahlt er gerade mal 400 Euro warm. „Am Anfang war es natürlich etwas seltsam hier zu wohnen und bei Penny einkaufen zu gehen. Denn schließlich war ich früher nur nachts auf der Reeperbahn. Aber mittlerweile fühle ich mich echt wohl hier!“
Was der 29-Jährige außerdem so am Leben auf St. Pauli schätzt ist die zentrale Lage. „Ich brauche nur 12 Minuten zur HAW in Bergedorf, außerdembin ich superschnell an der Elbe und beim Park Fiction. Von dem kleinen Park am Fischmarkt hat man einen tollen Blick über das Hafengelände. Das ist einer meiner Lieblingsplätze hier. Von meinem Fenster aus kann ich sogar die Docks von Blohm und Voss sehen.“ Und was natürlich jeden Partyfan neidisch machen dürfte: „Ich spare mir nachts das Taxi nach Hause, wenn ich feiern war“, erzählt der Student lachend. „Meistens treffen wir uns vor den Party-Nächten bei mir, um noch was zu trinken, das bietet sich einfach an! Und auch meine Nachbarn sehen das gelassen, selbst wenn es mal etwas lauter wird und wieder mal um die zehn Leute rumkommen.“
Klingt nach einem echt coolen Studentenleben, das Julian hier auf St. Pauli führt. Sowas wünscht sich doch jeder, oder? Doch Beispiele wie die von Julian sind eher selten, denn er hat mit seiner Wohnung auf St. Pauli echt viel Glück gehabt! Die Realität zeigt, dass es längst nicht mehr so einfach ist, bezahlbaren Wohnraum in den begehrten Stadtteilen Hamburgs zu finden. Vor allem nicht dann, wenn man nur ein studentisches Budget zur Verfügung hat. Denn überall, nicht nur auf St. Pauli, wird es teurer. Die „Gentrifizierung“ hat ihre Fühler ausgebreitet und führt vor allem zu einem: Hohen Mieten! Eine Entwicklung, die auch an Julian nicht ganz vorübergezogen ist. In den letzten zwei Jahren wurde die Miete seiner SAGA-Wohnung um insgesamt 55 Euro warm angehoben.
Gentrifizierung? Was ist das eigentlich?
Wenn man zuletzt etwas über unsere Hansestadt in den Medien las, wurde sie immer häufiger mit dem Begriff „Gentrifizierung“ in Verbindung gebracht. Eigentlich gibt es keine regionale Zeitung, die das Thema „Hamburg und seine Mieten“ unkommentiert lies. Die Entwicklung steigender Mieten ist aber ein deutschlandweites Problem. Auch andere Großstädte, wie zum Beispiel Berlin oder München, sind davon betroffen – vor allem in den zentralen Stadtteilen. Es war also wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch Hamburgs „Noch-Multikulti“-Viertel Altona und St. Pauli an der Reihe waren. Vor vielen Jahren wollte hier noch kaum jemand wohnen, der was auf sich hielt. Jetzt aber ziehen die Stadtteile neben genügsamen Studenten und Kreativen auch Menschen mit höherem Einkommen an. In der Schanze und in Ottensen ist diese Entwicklung bereits fast abgeschlossen, teurer ist Wohnen in Hamburg nirgends mehr.
Jeder, der in den vergangenen Jahren in Hamburg auf Wohnungssuche gegangen ist, dem dürfte folgendes Phänomen nicht unbekannt sein: Da sieht man die superschöne Wohnung in einem beliebten Szene-Stadtteil und richtet innerlich schon das Zimmer ein. Doch spätestens wenn die Zahlen der Mitbewerber und die Warmmiete genannt werden, setzt die Schnappatmung ein. Für ein 14-Quadratmeter-Zimmer ohne Balkon soll man 500 Euro zahlen? Das ist keine Seltenheit! Auch Julian bekommt das überall zu hören: „Mein bester Freund Hannes zieht bald nach Hamburg. Da halte ich jetzt schon mal die Augen offen nach einer Wohnung für ihn. Aber günstigen Wohnraum in zentraler Lage zu finden ist echt schwierig geworden!“
Doch teuer wird es nicht nur in den angesagtesten Stadtteilen wie Altona, St. Pauli oder Sternschanze, auch in Barmbek, Wandsbek oder Hamm stiegen die Preise fürs Wohnen zuletzt ungewöhnlich stark an. Genau dieser Prozess wird allgemein als „Gentrifizierung“ beschrieben. Übersetzt bedeutet das nichts anderes als die Aufwertung bestimmter Stadtteile. Diese sind aufgrund ihrer Lage, ihres kulturellen Angebots und der Wohnbauten attraktiver als andere. Die Entwicklung ist immer dieselbe: zuerst ziehen Studenten und Kreative in diese Viertel, da sie hier vergleichsweise günstig wohnen können. Dadurch wird die Gegend aufgewertet, viele Läden sowie ein angenehmes multikulturelles, weltoffenes Flair entstehen.
Das finden dann irgendwann auch die Besserverdienenden klasse, die sich in ihren Stadtrand-Häusern langweilen. Darin wittern dann wiederum die Immobilienunternehmer ihre Chance: wer rechtzeitig investiert und saniert kann auf lange Sichthohe Gewinne einstreichen. Es kommt dann wie es kommen muss: Die Mieten steigen und diejenigen, die den Stadtteil ursprünglich für sich entdeckt haben, müssen wegziehen, da sie sich die hohen Kosten nicht mehr leisten können! Denn eines wird bei der Aufwertung der Stadtteile fast immer vergessen: neue Wohnungen zu bauen und günstigen Wohnraum zu erhalten!
Der Geographie-Kurs des Gymnasiums Ohmoor wertet seit über zehn Jahren die Hamburger Mietpreise aus den Immobilienanzeigen im „Hamburger Abendblatt“ und bei „Immonet“ aus. Ihre Ergebnisse zeigen: Innerhalb von zehn Jahren stiegen die Preise bei Neuvermietungen auf St. Pauli von knapp zehn auf über 15 Euro pro qm. Wer kann das denn noch zahlen? Besonders der Neubau von IKEA in Altona oder der Abriss der ESSO-Häuser sind für Kritiker Beispiele für die zunehmende „Gentrifizierung“.
Im Sommer wird die deutschlandweit erste IKEA-Filiale in Innenstadtlage in der Großen Bergstraße eröffnen. Zwar wird es bestimmt cool, mal eben ohne Auto im schwedischen Möbelhaus shoppen zu gehen, doch die geplante Eröffnung bringt auch Nachteile. Mehrere Geschäfte mussten bereits schließen, weil die Mietpreise in Erwartung höherer Besucherzahlen in der Gegend bereits stark erhöht wurden. Hochumstritten ist auch der geplante Neubau auf dem Gelände der ESSO-Häuser auf der Reeperbahn. Hier wirft die „Initiative ESSO-Häuser“ dem Investor, der Bayerischen Hausbau, den absichtlichen Verfall der Gebäude vor, um einen Neubaumit hochpreisigem Miet- und Gewerberaum entstehen zu lassen.
Wer stoppt den Mietenwahnsinn?
Dass es in den letzten zehn Jahren Versäumnisse im Wohnungsneubau gegeben hat, bezweifelt wohl niemand mehr ernsthaft. Andy Grote, Bezirksamtsleiter für Hamburg-Mitte, versichert jedoch: „Momentan sind wir aktiv dabei, neuen öffentlich geförderten Wohnraum zu schaffen.“ Auf St. Pauli ist zum Beispiel gerade ein solches Projekt auf dem Hamburger Berg in Auftrag gegeben worden. Doch auch das hilft nicht jedem weiter, denn um sozialen Wohnungsbau in Anspruch nehmen zu können, braucht man einen Berechtigungsschein. Abhilfe schafft hier vielleicht die neue Mietpreisbremse der Bundesregierung, die Deckelungen für Preiserhöhungen vorschreibt. Mieten dürfen demnach um höchstens 15 Prozent innerhalb eines festgelegten Zeitraums steigen. „Auf St. Pauli dürfen außerdem seit 2012 keine Mietwohnungen mehr ohne Genehmigung in Eigentumswohnungen umgewandelt werden“, erklärt Andy Grote.
Eine tolle Alternative zum privaten Wohnungsmarkt stellen die Baugenossenschaften dar, wie zum Beispiel die Baugenossenschaft freier Gewerkschaftler (BGFG). „Wir haben mehr als 7.400 Wohnungen in Hamburg, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind“, sagt Eva Vietheer von der BGFG. „Vor allem in Barmbek, Dulsberg, Hamm, Horn und Rothenburgsort gibt es eine Vielzahl von Wohnungen, die sich aufgrund ihrer Größe für Studenten eignen“. Aber auch hier zeigt sich: „Leerstand haben wir, wie viele andere Vermieter in Hamburg, aktuell nicht und insbesondere in den besonders beliebten Stadtteilen wie St. Pauli, Altona und Eimsbüttel ist die Fluktuation relativ gering, so dass wir hier gar keine Vormerkungen mehr entgegennehmen.“
Was gibt es für Alternativen? Ist es aber nicht ganz normal, dass es in jeder Stadt Trendviertel gibt und sich Besserverdienende das Wohnen dort eher leisten können? In Blankenese oder Eppendorf macht ja seit jeher auch niemand ein Aufsehen um die Höhe der Mieten. Und dass dort eher Ärzte und Anwälte anstatt Studenten leben, wird ja allgemein auch akzeptiert. Ist es denn wirklich noch so hip, in der yuppisierten Schanze zu wohnen? Und mal ehrlich: Was ist der Kiez noch ohne die ESSO-Tanke? Vielleicht ist es ja auch an der Zeit zu sagen: Lasst uns neue Szene-Stadtteile gründen, dort, wo die Gentrifizierung eben noch nicht angekommen ist!
So sieht es zum Beispiel Pascal Melchers. Der 20-Jährige wohnt in Eilbek. „Der Stadtteil ist vielleicht nicht der Angesagteste, aber das macht das Wohnen hier auch irgendwie angenehm. Denn hier wird nicht an jeder Ecke renoviert und es gibt keine einzige Baustelle, was in Hamburg ja echt selten ist.“ An Eilbek schätzt der Student den Mix aus zentraler Lage und den Grünflächen rundherum. „Ich brauche nicht lange in die City, bin aber auch nah an der Alster. Außerdem haben wir hier viele nette Cafés und gute Einkaufsmöglichkeiten, wie die „Hamburger Meile“. Am Wochenende bin ich zwar schon auf der Schanze oder auch auf der Reeperbahn unterwegs, aber dort direkt zu wohnen, wäre mir viel zu unruhig!“
Jan wohnt in Wilhelmsburg und ist ebenfalls total zufrieden. Der 26-Jährige lebt hier in einer Dreier-WG und hat sich längst damit arrangiert, nicht ganz zentrumsnah zu wohnen. „Hier ist es deutlich günstiger als zum Beispiel in der Schanze“, sagt der Soziologie-Student. Und nur weil Wilhelmsburg etwas weniger zentral liegt, heißt dass noch längst nicht, das hier nichts los ist! „Die Partyszene hier ist erstaunlich gut“, berichtet Jan. „Vor allem im Sommer – ständig gibt es kleine Festivals und Open-Air-Partys“, erzählt er aus Erfahrung. „Und es gibt viele nette Läden. Die Tonne ist eine gute Bar und in der Honigfabrik finden regelmäßig Konzerte statt.“
Vor allem rund um die Veringstraße wohnen viele Studenten, hier entstehen bereits erste Trend-Shops und nette Cafés. Doch das erkennen auch die Investoren. Angekurbelt von der Bau- und Gartenausstellung im vergangenen Jahr, haben sich auch hier die Mietpreise innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt. Aber noch sind sie bezahlbar, auch für Studis.
Fazit: Dass Wohnen in Großstädten generell teurer ist, als auf dem Land ist klar! Doch wie kann das Problem der steigenden Mieten und der zunehmenden Yuppisierung der einzelnen Stadtteile gelöst werden? Schließlich sollte das zentrumsnahe Wohnen nicht nur der besserverdienenden Bevölkerung vorbehalten sein! Hier ist vor allem die Politik gefragt, die das Angebot an öffentlich gefördertem Wohnraum weiter ausbauen muss! Und das sollte nichtnur in den weniger zentralen Stadtteilen geschehen, sondern auch auf St. Pauli, Altona und der Schanze! Wir Studis sollten aber auch nicht unbedingt den Trends hinterlaufen. Am Ende dürfte es aber spannender sein, an der Entwicklung neuer Szene-Stadtteile wie Barmbek direkt beteiligt zu sein. Hier ist jetzt die Mischung, der wir woanders nachtrauern.
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